„Nicht klagen – viel mehr wagen“

■ Tausende von Frauen legten Berlin mit vielen Aktionen lahm und machten mit Arbeitspausen, Blockaden und Straßenumbenennungen unübersehbar klar, daß ihnen die Hälfte der Stadt gehört

Ohne uns läuft nichts, bewiesen gestern mehrere tausend Frauen in allen Teilen der Stadt. Lautstark und unübersehbar kamen sie daher, legten mit vielen spektakulären Aktionen unter dem Motto „Jetzt schlägt‘s 13“ den Verkehr und das Arbeitsleben lahm – und trieben damit manchen Mann zum Wutanfall.

Phantasie und Engagement in vielen kleinen Gruppen bestimmte gestern das Bild. Nahezu unmöglich war es, alle Aktivitäten zu überblicken. Eine Einladung zum Nichtstun hatte beispielsweise das Bündnis 90/ Die Grünen ausgesprochen und postuliert: „Frauen auf die Liegestühle“. „Kaum befindet sich Deutschland in einer Wirtschaftskrise, müssen Frauen auch schon um ihre Stühle kämpfen“, so Helga Lukoschat vom Bündnis 90/ Die Grünen bei der Blockade der Kreuzung Joachimstaler Straße Ecke Kurfürstendamm. Das „Relax-In“ auf Liegestühlen vor dem Blockaden allerorten

Café „Kranzler“ richtete sich gegen die männliche Dominanz in allen Lebensbereichen. Mehr als die Hälfte der Berliner Bevölkerung seien Frauen, doch die Stadt werde von 13 Männern und nur drei Frauen regiert. „Solange die Wiedervereinigung arbeitsmarktpolitisch oder auch in Bezug auf den Paragraphen 218 zu Lasten der Frauen geht, geben wir keine Ruhe“, so das Motto der Aktion.

„Wegen des Haushalts – zurück in den Haushalt!? Mit uns nicht“, erklärten Studentinnen und Mitarbeiterinnen der Technischen Universität (TU) und gingen auf die Straße. Bei einem „Tanz“ um den Ernst-Reuter-Platz in Charlottenburg legten sie den Autoverkehr für Minuten lahm. Danach nannten sie die Straße des 17. Juni symbolisch in „Straße des 8. März“ um.

Gerade an einer technischen Universität zeige sich das Problem der Benachteiligung besonders deutlich, erklärte die TU-Frauenbeauftragte Heidi Degethoff de Campos. Während der Frauenanteil bei Studenten und Verwaltungsangestellten relativ hoch sei, nehme er beim wissenschaftlichen Personal mit der Höhe der Dotierung rasant ab. Angesichts weiterer Kürzungen im Personalbereich müsse eine weitere Verdrängung von Frauen aus dem Berufsleben verhindert werden.

Am Morgen hatten sich zahlreiche TU-lerinnen zu einem „Hexenfrühstück“ im Foyer des Hauptgebäudes versammelt und dabei der Universität den Namen der Chemikerin und Pazifistin Clara Immerwahr (1870-1915) verliehen.

Jetzt schlägt's 13

An der zentralen bundesweiten Aktion „Jetzt schlägt‘s 13“ beteiligten sich viele hundert Frauen. Sie besetzten um dreizehn Uhr Kreuzungen in sämtlichen Bezirken der Stadt. Dreizehn schlug es beispielsweise in Schöneberg auf der Kreuzung Potsdamer-/Ecke Pallasstraße. Die vielbefahrene Hauptverkehrsader wurde von rund fünfzig Frauen eine Viertelstunde verkehrsberuhigt. Begleitet wurde die Aktion, zu der Künstlerinnen aufgerufen hatten, mit Schlägen auf einem großen Gong.

Die Frauen der taz besetzten die Kreuzung Koch-/Ecke Friedrichstraße nahe des Verlagsgebäudes, auf dessen Dach am Fahnenmast eine riesige lila Fahne im Wind knatterte. Verteilt wurde an Passanten die Sonderausgabe der taz zum Frauenstreiktag. Die Frauen ernteten für die Blockade ein energisches Hupkonzert der zum Warten verurteilten AutofahrerInnen. „Ihr könnt euch den Streik doch nur leisten, weil ihr im öffentlichen Dienst arbeitet“, mutmaßte eine schimpfende Frau. Ein aggresiver Autofahrer ließ sich nicht stoppen: Frauen mußten zur Seite springen, um nicht überfahren zu werden.

Auf einem Demonstrationszug durch Mitte und Kreuzberg marschierten rund zweihundert Frauen auch vor dem Gebäude des Axel-Springer-Verlags auf. „Selbst Kaffeekochen allein reicht nicht“, riefen die Frauen mit Bezug auf eine Schlagzeile der Bild-Zeitung, die in der gestrigen Ausgabe Männern Tips gab, wie man Kaffee kocht. „Frauenbefreiung fordert Revolution!“, hieß es in einem Flugblatt der Demonstrantinnen, die auf ihrem Zug von Polizeifahrzeugen eskortiert wurden. Die Polizei war zuvor bereits gegen eine kurze Blockade an der Frankfurter Allee vorgegangen – mit „unverhältnismäßiger Gewalt“, hieß es.

Beschenkt wurden Frauen dagegen in Hellersdorf: die PDS verteilte an die weiblichen Fahrgäste der U-Bahnlinie 5 rund 2.000 rote Nelken. Und in Steglitz zogen über hundert Frauen lautstark durch einige Kaufhäuser.

In der Justizverwaltung gab es ein „Hexenfrühstück“, zu dem Justizsenatorin Jutta Limbach eingeladen hatte. Etwa 250 Mitarbeiterinnen vertauschten für eine Stunde die Schreibmaschine mit dem Frühstücksteller.

Frauensenatorin Christine Bergmann (SPD) hatte angekündigt, bei der gestrigen Senatssitzung gemeinsam mit ihren beiden SPD-Kolleginnen Ingrid Stahmer (Soziales) und Jutta Limbach (Justiz) den Frauenstreik auf die Tagesordnung zu setzen.

Verschiedene Projekte wie in der Sophien-Kirche und die „Brunhilde“ in Mitte boten Kinderbetreung an, damit alleinerziehende Mütter an den Aktionen teilnehmen konnten. Auch im interkulturellen Frauenzentrum von S.U.S.I. (solidarisch, unabhängig, sozial, international) am Monbijouplatz in Mitte wurde Kinderbetreuung angeboten. Doch nur wenige Kinder wurden abgegeben.

„Männer in den Kochtopf“

Bereits in der Nacht zu gestern hatten Frauen vom Unabhängigen Frauenverband die Stadt „umzingelt“. An Autobahnbrücken rund um Berlin brachten sie Spruchbänder und Transparente mit Aufschriften an wie „Arbeit für Frauen oder wir klauen“, „Könnten Männer schwanger werden, wäre Abtreibung schon Grundrecht“, „Frauen an den Herd, Männer in den Kochtopf“ oder auch „Kocht euren Fraß alleine“ und „Biete Brautkleid – suche Knarre“.

Eine rund vier Meter lange Drachendame aus lila- und türkisfarbenen Stoff brachte gestern nachmittag bunte Abwechslung in die Clara-Zetkin-Straße. Die „Drächin“ bildete die Spitze einer Demonstration der „Lila Offensive/ Projekt Frauenkreise“ gegen die Umbenennung der Clara-Zetkin- Straße. Also griffen die rund 50 Demonstrantinnen zur Selbsthilfe: Sie tauften kurzerhand die Querstraßen der Clara-Zetkin-Straße um. Mit Pappschildern und unter den Sambarhythmen der Frauenpercussionsgruppe „uSAMBAra“ wurde aus der Friedrichsraße beispielsweise die Trümmerfrauenstraße und aus der Dorotheen-, die Frida-Kahlo-Straße.

Gleiches geschah in Potsdam: Aus der Brandenburger wurde dort die „Brandenburgerinnen Straße“. Andere Straßen wurden nach Marlene Dietrich, Pippi Langstrumpf und Ulrike Meinhoff benannt.

„Uns reichts“

„Uns reichts“ sagten am nachmittag über tausend Frauen – nach Angaben der Polizei – vor dem Roten Rathaus und forderten ihre rechtliche Gleichstellung und bessere Arbeitsmarktchancen. An der von allen Frauenverbänden, den Gewerkschaften, der SPD, PDS und dem Bündis 90/Die Grünen organisierten Abschlußfeier stand die Durchsetzung eines Rechtsanspruches auf einen Kindergartenplatz und der Protest gegen den Paragraphen 218 im Mittelpunkt. cs, awa, ob, lc, pw, gn, dpa, adn