Europa unter dem Stier

Die Europäische Union bleibt an der Frage der Sperrminorität hängen / Spanier und Briten stellen sich quer und müssen weichgeredet werden  ■ Aus Brüssel Alois Berger

Die Außenminister der Europäischen Union wollen nachdenken. Die Beitrittsverhandlungen mit Norwegen, die in der Nacht zu gestern überraschend abgebrochen wurden, sollen nach offiziellen Angaben in einer Woche fortgesetzt werden. Nach den üblichen Gepflogenheiten auf europäischer Bühne werden die Auswärtigen Ämter von Paris bis Athen die Zeit vorwiegend dazu nutzen, die Regierungen in London und Madrid weichzureden.

Spanien hatte die Verhandlungen mit Norwegen wegen 10.000 Tonnen Kabeljau platzen lassen und darüber hinaus gemeinsam mit London die Anpassung der Sperrminorität bei Ministerratsentscheidungen blockiert. Spanien und Portugal beanspruchen „historische Fangrechte“ in den norwegischen Gewässern, weil ihre Fischer vor dem spanischen EG-Beitritt dort regelmäßig gefischt hätten.

Die norwegische Delegation, die ursprünglich mit der Losung angetreten war, keinen einzigen Fisch abzutreten, war der spanischen Forderung von 25.000 Tonnen trotzdem bis auf 15.000 Tonnen entgegengekommen. Als die Spanier selbst diesen Kompromiß ablehnten, verhärtete sich der Verdacht, daß die Regierung in Madrid die Erweiterung insgesamt blockieren will. Untermauert wird diese These dadurch, daß Spanien auch die notwendige Anhebung der Sperrminorität verweigert. Spanien wie Großbritannien wollen trotz der künftig größeren Mitgliederzahl die bisherige Sperrminorität von 23 Stimmen im Ministerrat beibehalten. Das würde bedeuten, daß es künftig noch schwieriger würde, im Ministerrat, wo alle wichtigen Entscheidungen fallen, Mehrheiten zusammenzubekommen.

Gerade die spanische Haltung und die aktuell festgefahrene Situation zeigen die Gefahr auf, daß die erweiterte Europäische Union ohne institutionelle Anpassung noch weniger entscheidungs- und handlungsfähig sein würde. Während Großbritannien offensichtlich den Hebel der Beitrittsverhandlungen nutzen will, um den erreichten Integrationsstand der Europäischen Union zurückzudrehen, geht es Spanien schlicht um die Angst, vor allem in finanziellen Fragen künftig leichter überstimmt zu werden.

Zu dieser Angst dürften auch die Äußerungen Kohls und Kinkels beigetragen haben, die nach den erfolgreichen Verhandlungen mit Österreich, Schweden und Finnland unisono lobten, daß die bisher „südlastige“ Union nun besser „ausbalanciert“ werde. Vor allem in Spanien muß das wie eine amtliche Bestätigung der schlimmsten Befürchtungen angekommen sein. Beide Regierungen, in Madrid wie in London, scheinen derzeit bereit, auch ein endgültiges Scheitern der Beitrittsverhandlungen in Kauf zu nehmen.

Das Europaparlament in Straßburg ist nach den Worten von Parlamentspräsident Egon Klepsch bereit, die parlamentarischen Beratungen über die Aufnahme der Neumitglieder um einige Tage zu verschieben. Fest stehe aber, daß an der endgültigen Abstimmung im Parlament am 4. Mai nicht mehr gerüttelt werden könne. Nach dem Maastrichter Vertrag muß das Europaparlament jeder Erweiterung mit absoluter Mehrheit zustimmen. Das Parlament werde sich mit jedem Beitrittskandidaten einzeln befassen, hob Klepsch hervor. Das bedeutet, daß eine Aufnahme von Österreich, Schweden und Finnland auch ohne Norwegen möglich ist. Norwegen müßte dann später neu verhandelt werden, eventuell gemeinsam mit Polen und Ungarn, die gerade ihre Antragsformulare ausfüllen.

Es gilt allerdings als wenig wahrscheinlich, daß das Europaparlament irgendeiner Erweiterung zustimmt, wenn nicht die Frage der Sperrminorität, also der künftigen Machtverhältnisse, geklärt ist. Wenn es Kinkel und seinen Freunden bis zur nächsten Woche nicht gelingt, die Briten zum Nachgeben zu bewegen, könnte sich die Beitrittsprozedur auch für Schweden, Finnland und Österreich um sechs Monate verschieben.