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Glückliche leben länger

■ n Bremer Institut für Präventionsmedizin zeigt Ergebnisse / Senat will Geld streichen

Fernfahrer erkranken im Durchschnitt öfter an Harnblasenkrebs als der Durchscnitt der Bevölkerung. Was können sie dagegen tun? Ganz einfach: regelmäßige Pinkelpausen einlegen. Bei Kindern in der Umgebung von AKW's oder bei der Bevölkerung in Chemie-Regionen wie Leverkusen oder Halle ist es schon schwieriger – da müßte sich die Industriepolitik ändern. Die wissenschaftliche Forschung, die mit vergleichenden Untersuchungen derartige Krankheits-Risikogruppen identifiziert und damit die Frage nach den Ursachen möglich macht, heißt „Epidemiologie“. In Bremen gibt es seit dem vergangenen August einen Experten dafür, Prof. Rainer Frentzel-Beyme, der am BIPS eine Abteilung für Epidemiologie aufgebaut hat. Gestern stellte er seine Arbeit vor.

4000 neue Substanzen erfindet die chemische Industrie in jedem Jahr, die die Evolution nicht in ihrem Programm hatte und auf die die menschliche Natur oft nicht vorbereitet ist. Wie der Mensch diese Substanzen verarbeitet, wird oft erst Jahre später deutlich. Mit breit angelegten Fragebogen versuchen die Präventions-Mediziner herauszubekommen, welche Faktoren für besondere Erkrankungs-Häufigkeiten verantwortlich sein könnten. So ist heute bekannt, daß Vegetarier deutlich weniger unter Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu leiden haben, während LKW-Fahrer deutlich öfter an Blasenkrebs erkranken als der Durchschnitt. Aber auch psychische Faktoren beeinflussen die Krankheitshäufigkeit: „Gut stimulierte Menschen“ bekommen zum Beispiel deutlich seltener Krebs als depressive, unter Abhängigkeiten leidende Menschen, erklärte Prof. Frentzel. So ist rein theoretisch ein „ganz entspannt im Hier und Jetzt“lebender Raucher weniger Krebsgefährdet als jemand, der sich mit schlechtem Gewissen von Entwöhnungskurs zu Entwöhnungskurs quält. Da das Herz-Kreislauf-Risiko bei RaucherInnen aber ganz entscheidend steigt, kann der Mediziner niemandem eine sorglose Zigarette empfehlen.

In den kommenden Jahren will das BIPS sich mit den Auswirkungen von Funk-Anlagen und insbesondere Telefonen befassen. Wissenschaftlich erwiesen sei, so Frentzel, daß die hohen Frequenzen die elektronische Kommunikation der Gehirnzellen stören, weil sie den Melatonin-Spiegel senken und damit die Abwehrkräfte gegen Krebs schwächen. Offen sei, wie stark der menschliche Körper „regenerationsfähig“ sei und unter welchen Umständen irreversible Schäden entstehen.

Mit einer Giftliste ganz anderer Art hat das BIPS seit Jahren zu kämpfen: Die Gesundheitsbehörde, von der das Institut die Hälfte seiner Grundfinanzierung erhält, setzt das BIPS in penetranter Häufigkeit auf seine internen Streichungslisten, was die Beschäftigten alle Monate neu verunsichert. Mehrfach ist in Senatsberatungen das als „Sparvorschlag“ zurückgewiesen worden, weil das BIPS sich zu mehr als 2/3 aus Forschungsaufträgen finanziert, also mit seinem überregionalen guten Ruf „Drittmittel“ nach Bremen zieht – 19 Millionen seit 1988, wie der kaufmännische Leiter Larisch stolz zusamengerechnte hat. Wobei das Land Bremen das Institut der absurden kameralistischen Mißwitschaft unterwirft, mit dem das gesamte Bundeland verwaltet wird: Wenn einmal in einem Jahr ein Überschuß entsteht, wird der Zuschuß entsprechend gekürzt. Das produziert den Zwang, alles Geld auszugeben, für unvorhergesehene Dinge wie etwa zur Überbrückung einer Lücke zwischen zwei Aufträgen dürfen keine Reserven gebildet werden.

BIPS-Leiter Greiser will erreichen, daß im Rahmen des Sonderinvestitionsprogramms ISP in einigen Jahren auf das Uni-Gelände Raum für ein „Zentrum für Public Health“ geschaffen wird. Dort könnte das BIPS aufgehen und dann seine Grundfinanzierung ganz aus dem Wissenschaftsetat erhalten. Eigentlich, so Verwaltungschef Larisch, müßte Vorsorge-Forschung aus den 600 Milliarden finanziert werden, die jährlich für Nachsorge ausgegeben wird.

K.W.

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