Die potemkinsche Mülltonne

■ Theater von hinten (4): Ein Besuch beim Jubiläumstischler Rudolf Kastens / Vorne hui, hinten pfui, das soll hier so sein

„Normalerweise macht man als Tischler Fenster raus, rein, tachaus, tachein. Das ist doch langweilig“, sagt Rudolf Kastens, Leiter der Theatertischlerei. Er steht stolz zwischen den Werkbänken: „Hier hat man jeden Tag neue Aufgaben.“ Er spricht aus Erfahrung. Nächste Woche feiert er sein 25jähriges Dienstjubiläum. „Ich bin nicht so'n Typ, der immer wechselt“, sagt er. Davor arbeitete er 18 Jahre lang bei der gleichen Firma, bis diese aus Altersgründen des Besitzers dicht machte. Er braucht lange ehe er „warm wird“, aber „dann fühle ich mich wie zu Hause.“

In einer der drei Tischlerhallen wird gerade ein „Herrenklavier“ gebaut. „Richtig in Mahagoni.“ In der zweiten Halle werkelt einer der acht Mitarbeiter Rudolf Kastens einen neuen Tisch. Aus dem Material Meranti, einer Tropensperrholzplatte aus Plantagenholz. Doch meistens nageln die Tischler Wände zusammen, die in den 7,50 Meter hohen Fahrstuhl passen müssen: Kulissenwände, ohne die kaum ein Stück am Bremer Theater auskommt. Sie werden aus fertiggehobelten Latten gefertigt, 60 mal 28 mm oder 60 mal 22 mm Fichte - Standardmaß. Rudolf Kastens hat noch erlebt, wie man die Latten früher selbst hobeln mußte. Als im Laufe der Jahre zwei Planstellen wegfielen und die Arbeitszeitverkürzung dazukam, wurde das Hobeln eingestellt. Die Wände werden weder geschraubt, gefugt oder genagelt, sondern mit einem Tacker geschossen, ganz nach der Prämisse: „Hauptsache ist, daß es vorne aussieht.“

Am Schreibtisch von Rudolf Kastens hängt ein Plan: „Wenn ich ein Z mache, dann heißt das, ich hab die Zeichnung. Ein I heißt, in Arbeit, und das X mache ich, wenn das Stück gespielt wird.“ Das letzte X machte er erst vor wenigen Tagen zur Premiere von „Nora“ (Ibsen). Daß das Bühnenbild „so eine schlechte Kritik“ bekommen hat, betrübt ihn. Dabei waren die Wände sogar auf Gärung gesägt, erläutert er. Wie ein Hausherr läuft er in der Kulisse umher, prüft seine Bogenwände und die verzierten Türen. Für das Cembalo wurden laut Auftrag der Bühnenbildnerin neue Beine gedrechselt, die anderen hatten nicht den richtigen Schwung.

Früher haben ihm die Vorschläge der BühnenbildnerInnen nicht immer so gut gefallen. Doch mit der Zeit hat er gemerkt, daß sie auf der Bühne wirkungsvoll sind. So ging es ihm mit Rigoletto, als er das Stück sah, war er begeistert. „Denn auf der Bühne, wenn das Licht noch stimmt, sieht das oft ganz anders aus.“ Bei den Besprechungen mit den BühnenbildnerInnen muß Rudolf Kastens manchmal eingreifen, denn einige Sachen lassen sich eben nicht realisieren. „Das sind ja auch keine Handwerker“, sagt er. Und manchmal müssen die Sachen am Ende doch umgearbeitet werden. Zum Beispiel das eine Mal, wo er eine Mülltonne gemacht hat, in der jemand sitzen sollte. „Dann hieß es, geht nicht, die Mülltonne muß größer, der hält das dadrin nicht aus. Als sie dann größer war, sollte sie dann doch wieder so sein wie früher!“ Rudolf Kastens lacht freundlich über soviel handwerkliches Unverständnis. „Sowas geht doch dann nicht mehr.“ Vivianne Agena