Zwischen den Rillen
: Japanische Pornos, Zorns Furze, das flache Land und Frizz

■ Neue Platten von New Yorker Avant-Jet-Jazzern um die 40

Sie leben hier nicht mehr – ließe sich der zum Scheitern verurteilte Versuch resümieren, all jene vor Ort zu besichtigen, die den Sound der Stadt veränderten. Die New Yorker Avant-Jazzer der Achtziger – fein getrennt nach geographischen, ethnischen und sozialen Bezügen, nach Stil und Geschlecht gar, groovten sie in der vergangenen Dekade gegen den Hauptstrom der Jazzmetropole: schräg, laut und enervierend. Schwarze M-Baser, weiße Corner Store Syndicater, jüdische Lower East Sider – Steve Coleman, Greg Osby, Bill Frisell, John Zorn, Wayne Horvitz. Sie leben dort nicht mehr.

Um die 40 scheint für einen richtigen Avant-Jazzer die Zeit gekommen, sich für ein Leben danach einzurichten. In einem Häuschen bei Baltimore oder Seattle, in einem Apartment in Paris oder Tokio. Kitsch, Cage und Rock'n'Roll – John Zorn, der Populist der Maschinenmusik, zum Beispiel. Seine Musik klingt den einen wie ein Kündigungsgrund, andere finden sich durch sie in Alptraumtrance versetzt oder mögen gar glauben, daß das Böse damit einen Klang gefunden hätte. Im japanischen Jet-Set- Exil proklamierte Zorn unterdes eine radical new Jewish culture, und die New Yorker Avant-Klitsche Knitting Factory widmete ihm anläßlich seines 40. im September vergangenen Jahres einen ganzen Konzertmonat – zorngemäß innen ausgestattet mit japanischen Pornopostern an den Wänden. Von seiner Studioband Naked City gibt es derzeit gleich zwei Neuerscheinungen auf dem hiesigen Jazzmarkt. „Absinthe“ ist eine extrem gewöhnungsbedürftige Zorn-Reverenz an Olivier Messiaen und Baudelaires böse Blumen. Geräusche, verschwommene Klangfelder, Geräusche und ein geschickt gestyltes Booklet, durch das Hans Bellmers beschädigte Puppenbeine warnend Weg weisen, als sollten wenigstens sie die Ahnungslosen auf dieses fuselige Zorn-Epos vorbereiten.

Ganz anders „Radio“, Zorns Beschreibung der amerikanischen Psycho-Apokalypse in 19 Episoden. In Zorns Radiowelt wird das Unmögliche selbstverständlich: Charles Mingus jammt mit Little Feat, Booker T. mit Ennio Morricone, Anton Webern mit Frank Sinatra, Led Zeppelin mit Charlie Haden, Napalm Death mit Carole King. Dazwischen rülpst und furzt Zorn mit Altsaxophon und Stimme, als wäre dies der Kitt, der seine Collage zusammenhält. Schon das Cover, geziert von zwei Man- Ray-Fotos aus dessen Nackter- Arsch-mit-Händen-Phase, suggeriert Hardcore. Und Naked-City- Gitarrist Bill Frisell hendrixt hemmungslos zum verflixt komplizierten Up-Tempo-Humor jenes middle-aged bad boy , wie die New Yorker Wochenzeitung Village Voice Zorn zum Geburtstag titulierte.

Ganz anders Frisell, wenn er unter eigenem Namen aufnimmt. Nach weit über 50 CDs mit den Olympioniken des Jazz und Crossover und der obligatorischen New Yorker Avant-Dekade lebt er heute mit Frau und Tochter in Seattle. Am 18. März wird Frisell 43, und Anfang April promo-jetted er mit seinem Sextett durch die hiesige Jazzwelt, um seine jüngste CD „This Land“ unter die Leute zu bringen. Anders als auf seiner Coverversion-CD des Vorjahres, „Have A Little Faith“, gibt es hier ausschließlich Eigenkompositionen zu hören. Und das ist gut so.

Frisell bluest, zerrt, swingt und rockt sich durch seine Erinnerungen an das flache Land, wo er aufwuchs, an seinen Lehrer Julius Hemphill, an Cartoons und Rags, alles mit einer Gelassenheit und Ruhe, die neidisch machen könnte. Mit Naked-City-Drummer Joey Baron, Don Byron (Klarinette), Billy Drewes (Altsaxophon), Curtis Fowlkes (Posaune) und Kermit Driscoll am Baß entdeckt Frisell auf „This Land“ das neu, wogegen Zorn einst den Aufstand inszenierte und kultivierte: Melodien, die süchtig machen. Oft haben die Kritiker Frisell mit Fragen genervt, ob seine Hillybilly- und Country-Adaptionen der letzten Jahre zornigen Witz bezeugen oder es ihm gar ernst damit sei. Frisell hat es bislang vermieden, sich festlegen zu lassen. Daran wird diese CD sicher nichts ändern, nicht jener Südstaatenbahnhof, der einem vom Cover entgegenschnarcht, und Frisells charmanter Back-to-the-Roots- Appeal auch nicht. Auf „This Land“ mischt sich der Sound von weiter Prärie und Autowracks mit schwitziger Trauerzugstimmung und Garagenbandatmosphäre.

Jene Friseller, die seine mehr meditativen Wellenklänge brauchen, seien noch auf den Titel LO-KO-MO-AND-FRIZZ der aktuellen Konitz-CD „Rhapsody“ verwiesen, wo das fast schon legendär zu nennende Paul-MOtian-Trio mit Joe LOvano und eben FRIZZ auf den melodischen Improvisator Lee KOnitz trifft. Für Neueinsteiger in Sachen Middle-aged-Avant- Jazz, die alles wollen (aber nichts haben), sei einstweilen der 94er Dumping-Sampler „Almost Normal“ des Münchner JMT-Labels empfohlen, auf dem von Frisell, Byron, Tim Berne, Gary Thomas bis Cassandra Wilson zu hören ist, welche Narben sie vor kurzem erst in die cleane Mainstreamfratze gruben. Christian Broecking

Bill Frisell: „This Land“ (Elektra Nonesuch 7559-79316-2)

Naked City: „Radio“ (Avan 003)

Naked City: „Absinthe“ (Avan 004)

Lee Konitz: „Rhapsody“ (Bellaphon/KICJ 174)

Sampler: „Almost Normal“ (jmt 514011-2)