Die Legende des Grafen Guldenburg

In Mecklenburg wehren sich die Bewohner des Ortes Raguth mit viel Erfolg gegen die Rückübertragung ihres Gemeindelandes an einen Grafen aus Schleswig-Holstein  ■ Von Torsten Schubert

„Diese Leute haben etwas gegen Junker und Juden“, sagt Nikolas Graf Bernstorff erbost. Im mecklenburgischen Dörfchen Raguth ist der 53jährige Adelige aus Schleswig-Holstein eine unerwünschte Person. Seit ihm im November 1991 der land- und forstwirtschaftliche Betrieb Gut Raguth und der Forst Düsterbek vom Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen zurückübertragen wurden, tritt er den 125 Bewohnern „arrogant-gierig“ entgegen. Jetzt soll er den Besitz wieder abgeben. Erleichterung in Raguth über die neue Entscheidung des Landesamtes. Darin wird die Rückübertragung an Graf Bernstorff in „vollem Umfang mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen“.

Einwohner Rainer Etzrodt kommentiert: „Jetzt ist erst einmal Ruhe im Schiff.“ Der ganze Alptraum sei durch Irrtum oder Lüge entstanden. „Bei Graf Bernstorff war es eine Lüge“, behauptet er dann.

Grund für die Rückübertragung an Graf Bernstorff war die angeblich dänische Staatsbürgerschaft seines 1982 verstorbenen Vaters. Damit wäre das Gut nach dem Krieg nicht enteignet, sondern als ausländischer Vermögenswert unter Einzelverwaltung gestellt worden. Doch die Raguther bezweifelten das. Aufgeschreckt wurden sie durch weitere Ansprüche des Grafen. So sollten rund zehn Familien ihre unter der Modrow-Regierung gekauften Häuser nochmals bezahlen. „Jetzt ist mein Besitz ein Flickenteppich, die Länder sind kaum zu bewirtschaften“, stöhnt der Graf. „Darum muß neu verhandelt werden.“

„Ältere Einwohner erinnerten sich an den Vater“, sagt Rainer Etzrodt. „Vor allem, daß er als deutscher Offizier von den Russen in einem Apfelkeller gefangengehalten wurde und ausbüchsen konnte.“ Er hat keinen Zweifel: „Das konnte kein Däne sein.“ Eine Anfrage beim dänischen Generalkonsulat bestätigte den Verdacht weitgehend. Das Justizministerium gehe anhand der bisherigen Informationen davon aus, hieß es in einer Antwort von Februar 1993, daß der Vater Graf Bernstorffs weder im dänischen Reich geboren wurde noch später die dänische Staatsangehörigkeit erworben habe. „Es ist ohne staatsbürgerliches Interesse, daß der Erwähnte den Titel ,Königlich Dänischer Lehnsgraf‘ trug.“

Währenddessen spitzte sich der Konflikt zwischen Adel und Bürgern in Raguth zu. Zankapfel war ein Bushäuschen auf dem Grundstück des Grafen. Die Gemeinde riß „das alte Blechding“ ab und wollte neu bauen. „Graf Bernstorff erwirkte durch seine Anwälte einen Baustopp“, erzählt Bürgermeisterin Inge Rehagen. „Er wollte gefragt werden.“ Sie räumt eigene Fehler ein. „Wir kannten das neue Recht ja noch gar nicht.“ Doch eines wollte sie nicht: den Anspruch des Grafen anerkennen. „So entstand die Legende vom bösen ostelbischen Junker, der die armen Ossikinder im Regen stehen läßt“, meint Graf Bernstorff. Weitere Forderungen: Die Bewohner sollten ihre Trinkwasseranlage bis Ende 1995 aus dem Raguther Schloß ausbauen. Bauern verbot der Graf, auf dem Weg zu ihren Äckern über sein Land zu fahren. „Ich weiß, daß er außerdem versucht hat, Leute einzuschüchtern“, sagt Gemeinderatsvorsitzender Joachim Steinberger. „Deshalb haben wir sofort Widerspruch gegen die Rückübertragung eingelegt.“ Das Amt ließ die Bewohner zwei Jahre warten. „Die wollten uns wohl schnell über die Rolle ziehen.“ Der Graf, so ihr Vorwurf, bekam jede Auskunft – „wir wurden vertröstet“. Die Gerüchte kochen im Dorf. „Ein Staatssekretär im Finanzministerium des Landes Mecklenburg- Vorpommern soll da etwas gedreht haben.“ Beweisen können die Bewohner ihren Verdacht nicht.

Allerdings wurde der fragliche Staatssekretär ein knappes halbes Jahr nach der Rückübertragung in den einstweiligen Ruhestand versetzt. „Wegen einer Kabinettsumbildung“, heißt es im Ministerium. Noch immer fürchten die Raguther um ihr Gemeindeland. „Das Gut ist zehn Millionen Mark wert“, sagt Rainer Etzrodt, einer der schärfsten Gegner des Grafen. „Dennoch hätte sich keiner von uns aufgeregt, wenn er die alten LPG-Flächen bekommen hätte.“ Landwirtschaft lohne sowieso nicht mehr. „Aber der Graf wollte alles – auch unsere Häuser.“ Seine Vermutung: „Die zerstückelten Ländereien sollten zusammengefügt werden, um das Gut dann komplett zu versteigern.“ Denn daß der Graf hoch verschuldet sei, wisse mittlerweile jeder in Raguth. Von elf Millionen Mark wird gemunkelt. Geschäftsmann Graf Bernstorff sei im Westen mit mehreren seiner Unternehmen gescheitert. Der Adelige fühlt sich ungerecht behandelt. „Mein Vater hat nach dem Krieg zwar einen Lastenausgleich bekommen“, bestätigt er, „aber nur für entgangenen und entgehenden Gewinn.“ Damit sei keine Aufgabe der Eigentumsansprüche verbunden gewesen. „Ich fahre oft in die Gegend, um Grundstücksgeschäfte zu machen“, sagt er. „Alle Menschen, mit denen ich verhandele, wissen, daß das dort mein Eigentum ist.“ Er hält nach wie vor daran fest, daß sein Vater Däne gewesen ist. „Hier wird versucht, das Recht des Rechtsstaates zu beugen.“ Graf „Guldenburg“ – so einer seiner Spitznamen, weil in seinem schleswig-holsteinischen Schloß Wotersen die gleichnamige Fernsehserie gedreht wurde – hat Rechtsmittel gegen die Aberkennung von Gut Raguth eingelegt. Ganz herrschaftlich sagt er: „Ich muß den Ärger über mich ergehen lassen.“ Doch: „Ich habe schon etwas Ordnung in diesen Busch gebracht.“ Die wilde Müllkippe hinter dem Herrenhaus sei verschwunden. „Den Verfall kann ich jetzt nicht mehr aufhalten.“

Der Pachtvertrag, den der Graf geschlossen hat, bleibt bis zum Abschluß des Verfahrens gültig. Doch die Bewohner atmen auf. „So ein Behördengang kann dauern.“