Anspruch im Huckepack

Blattmacher basteln an einer Kultur-Programmzeitschrift  ■ Von Peter Hanemann

Für 4,7 Millionen Mark im Jahr kann man ein ganz schönes Magazin machen, zumal wenn es nur monatlich erscheint. Wolfgang Timpe und Fritz Friedebold, die das Magazinmachen einst beim – 1989 eingestellten – Fachblatt neue medien trainiert hatten, machten dann auch für die ARD etwas zum Vorzeigen: Das Erste, das es als gemeinsames Programm-Magazin der ARD-Anstalten bei einer Auflage von 5.000 Exemplaren zu 44 Ausgaben brachte. Seit Juni 1990 putzten die beiden Chefredakteure die alte Dame ARD stets so heraus, als sei sie auf ewig Marktführerin. Bei der Halbierung der Marktanteile des ersten Programms seit 1990 auf inzwischen etwa 16 Prozent und der Massierung der Finanznöte der ARD muteten die flotten Töne, mit denen das Blatt seinen „Markenartikel ARD“ anpries, jedoch immer seltsamer an. Kein Wunder, daß die sparwilligen Intendanten ihrem Schönling im Januar ein sang- und klangloses Ende bereiteten.

Timpe und Friedebold widmen sich nun neuen Aufgaben, teilt die Norddeutsche Verlagsanstalt mit, die als Tochter von Gruner & Jahr Das Erste für die ARD produziert hatte. Was Timpe betrifft, ist bekannt, daß er im Februar beim Hamburger Unternehmen „Mediabord Fernseh- und Zeitschriften GmbH“ die Leitung einer Entwicklungsredaktion übernommen hat, die eine „monatliche Medienfachzeitschrift“ vorbereiten soll.

Doch auch andere Blattmacher stricken an Konzepten: Karl-Otto Saur legte den Öffentlich-Rechtlichen – pünktlich zum Ende des Ersten – das Konzept einer Programmzeitschrift vor, die „bei gleicher Auflage unter der jährlichen Gesamtsumme kalkuliert werden“ könnte, „die für Das Erste ausgegeben wurde“. Sein Vorschlag für Art-TV (Arbeitstitel) ähnelt auf den ersten Blick der Neukonzeption einer öffentlich-rechtlichen Zeitschrift, die noch Timpe den Intendanten vorgelegt hatte. Als deren Rotstift schon angespitzt war, hatte der Hamburger für eine gemeinsame, monatliche Publikation von ARD, ZDF, 3Sat und arte plädiert, ohne aber Gehör zu finden.

Auch der Münchner Saur empfiehlt eine gemeinsame Programmwerbung aller Öffentlich- Rechtlichen, die allerdings wöchentlich erscheinen müsse. Saur argumentiert mit veränderten Rezeptionsgewohnheiten des Publikums, die ihre Programmwünsche längst nicht mehr im Monats-, sondern im Tagesrhythmus festlegen würden. Saur: „Die Öffentlich- Rechtlichen müssen sich entscheiden, ob sie in dieser Struktur überhaupt noch vorkommen wollen“.

Der Mediale weiß, wovon er spricht. Denn Saur, der einst der Medienredaktion der Süddeutschen Zeitung angehörte, bearbeitet heute in seinem „Kontor für Kultur & Kommunikation“ redaktionell Radio- und TV-Programme, die die Programmzeitschrift Gong vom BR, vom SWF und vom SDR übernimmt – als Anzeigen. Darüber hinaus besorgt er die Textredaktion von Programmanzeigen, die der BR – im Gegengeschäft – in den Münchner Blättern SZ, TZ und Merkur plaziert.

Für „kulturinteressierte Minderheit“

Saur macht sich mit seinem Konzept einer „kulturellen Programmzeitschrift“ zum Anwalt „kulturinteressierter Minderheiten“, deren „verfassungsmäßig verbrieftes Recht auf anspruchsvolle Programme“ nur deshalb nicht zur Geltung komme, weil anspruchsvolle Sendungen in der „Unüberschaubarkeit des gesamten Angebots“ untergingen. Aus seiner Sicht sollte „Art-TV“ deshalb zunächst aus 42 Seiten Texterläuterungen zu täglichen Hörfunk- und Fernsehprogrammen bestehen, auf denen explizit „Kultur“ draufsteht. Vorgeschlagen wird der Abdruck der vollständigen Programme von arte und 3Sat sowie der Auswahl von „Kulturprogrammen im Gesamtprogramm von ARD und ZDF einschließlich von TV-Spielen und Teilen des Informationsprogramms“. Er denkt auch an einen Serviceteil, in dem etwa über Veranstaltungen des Deutschen Kulturrates informiert werden könnte. Die „Stiftung Lesen“ könnte zusätzlich einen Literaturteil einbringen. Sollte der Münchner mit ARD und ZDF ernsthaft ins Gespräch kommen, will er „dafür kämpfen“, daß auch Anspruchsvolles aus der Kulturkiste etwa von Alexander Kluge berücksichtigt wird.

Imagewerbung für ARD und ZDF

Ob die Öffentlich-Rechtlichen fortan mit dem Herausstellen ihrer kulturellen Leistungen den Privaten begegnen werden, bleibt ungewiß. Für Peter Müller, Sprecher des derzeit bei der ARD federführenden Norddeutschen Rundfunks, ist Saurs Konzept erst mal nur „ein Papier unter vielen“. WDR-Sprecher Jürgen Wessalowski sieht in dem Vorschlag immerhin ein „interessantes Angebot“. Nicht von ungefähr steht vor allem Rolf-Rainer Ganz als Sprecher des Saarländischen Rundfunks Saurs Ideen „sehr aufgeschlossen“ gegenüber. Sein Intendant Manfred Buchwald hatte bis zuletzt versucht, Das Erste zu retten. Denn mit dessen Ende steht nicht nur die künftige Programmwerbung, sondern auch die Imagepolitik der ARD insgesamt zur Disposition.

Immerhin eint alle ARD-SprecherInnen ihr Beschluß, an einer gemeinsamen Programmzeitschrift festhalten zu wollen. An einer eigenen Publikation will aber auch das ZDF festhalten, dessen Sprecher Dieter Schwarzenau im Münchner Modell „keine Alternative“ für das ZDF-Monatsjournal sieht. Und arte hat soeben begonnen, an 10.000 anspruchsvolle Interessenten eigene – monatliche und wöchentliche – Programmhefte zu verschicken.

Dabei sind gerade Saurs Vorschläge für den Vertrieb mit das Originellste an seinem Konzept. Zunächst geht der Journalist davon aus, daß die Anstalten mit gezielter Werbung unter „Kulturinteressierten, Lehrern und ähnlichen Gruppen“ Abonnenten für 50.000 Exemplare finden, die sie selbst übernehmen. Denkbar sei auch die Kooperation mit Kultureinrichtungen wie Volkshochschulen und Kulturvereinigungen, die den wöchentlichen Vertrieb in Eigenverantwortung besorgen könnten. Im Kern interessiert sich Saur aber für die Kooperation mit einer „anspruchsvollen Wochenzeitung“, der man mit einem öffentlich-rechtlichen Programm-Inlet einen willkommenen Anreiz zur Abowerbung bieten könnte. Saur: „Mit einem solchen Huckepack- Verfahren könnten auf einen Schlag bis zu 250.000 Exemplare genau an den Leserkreis gebracht werden, den man bis jetzt immer gesucht und nicht gefunden hat.“ Sollte der Blatt-Planer mit den Öffentlich-Rechtlichen tatsächlich ins Geschäft kommen, möchte Saur die Redaktion des Blattes gern selbst behalten, während Herstellung und Logistik bei einem großen Verlagshaus liegen könnten. Gespräche, so Saur, hätten bereits stattgefunden.

Mit Kirch und Kirche

Im aktuellen Entwurf ist namentlich die Wochenpost erwähnt, deren Berliner Verlagshaus durchaus Gründe hätte, die Auflage mit neuen Anreizen hochzutrimmen. Wochenpost-Kulturchef Thomas Schmid weiß aber auf Nachfrage nichts von solchen Überlegungen – und auch nicht sein Verlag. Nichtsdestotrotz vertrat Journalistin Christiane Grefe die Wochenpost kürzlich bei einem Meeting in Mainz, bei dem der harte Kern all jener zusammengekommen war, für die, wenn nicht das Fernsehen überhaupt, so doch die Programme der Privaten den Untergang des Abendlandes beschleunigen. Während Grefe arglos von einer „Berliner Screenpeace“-Initiative berichtete, die sich nach einer Medienschelte der Wochenpost gebildet hatte, wurde sie von den Kadern einer Bewegung willkommen geheißen, die nun auch Filme aus den TV-Tagesprogrammen verbannen will, die die Freiwillige Selbstkontrolle für Zwölfjährige freigegeben hat. Die Spannweite der TV-Geschädigten, die beim Mainzer Bischof unterkamen, reichte von der Stiftung Lesen über die AG Familienfreundliches Fernsehen bis zur Erlanger Initiative „Bürger fragen – Journalisten antworten“, die dem Hause Kirch nahesteht. Als Spiritus rector und als Moderator der Versammlung fungierte Karl-Otto Saur.