Der Aufschwung der Reichen

Das Ende der südafrikanischen Rezession spüren die arbeitslosen Schwarzen nicht / Kapitalflucht aus Angst vor ANC-Programm  ■ Aus Johannesburg Willi Germund

Roy Mpofo fragt nicht erst lange nach dem Lohn. Er eilt um das Auto und springt auf den Beifahrersitz. „Baas, brauchst du wirklich nur einen Arbeiter?“ bettelt derweil jemand, der sich mit Dutzenden weiterer Männer am Wagenfenster drängt. Tag für Tag versammeln sich die Tagelöhner an der Ecke der Louis Botha Avenue und Ivy Road im Johannesburger Stadtteil Orange Grove und hoffen auf einen Job. „Zum letztenmal habe ich am Sonntag vor einer Woche gearbeitet“, erzählt Roy. Der Tageslohn: 25 Rand, 12,50 Mark. „Positive Wirtschaftserwartungen“ heißen übereinstimmend die Schlagzeilen der südafrikanischen Tageszeitungen. Eine Jahresinflationsrate von 9,7 Prozent (so niedrig war sie zuletzt vor 20 Jahren), der Run von US- Investmentfonds auf die Johannesburger Börse und ein vorausgesagtes Wirtschaftswachstum von zwei bis drei Prozent reichen, um nach vier Jahren massiver Rezession erste Funken von Optimismus zu schlagen. Doch die Zuversicht von „Diagonal Street“, der Johannesburger Börse, teilt Roy Mpofo noch lange nicht. Vor einem Jahr verlor er seinen Job bei einem Bilderrahmengeschäft – es ging bankrott. Seitdem schlägt er sich als Tagelöhner durch. Wenn das nicht reicht, verkauft er in den Straßenschluchten der Johannesburger Innenstadt Obst. Seinen Sohn hat er im Homeland Transkei bei den Eltern abgeliefert. „Ich verdiene nicht genug“, sagt Roy Mpofo, „um ihn hier zu ernähren.“ 200 Mark im Monat muß er für seine kleine Wohnung im Stadtteil Hillbrow bezahlen. Und davon, daß es nun aufwärts gehen soll, hat er bisher nichts gespürt. „Im Gegenteil“, sagt der 26jährige Mann, „im letzten Jahr standen wir hier an der Ecke jeden Morgen mit etwa 70 Mann, jetzt warten morgens immer über 100.“

Zwei Prozent Wirtschaftswachstum erwartet auch Wirtschafts- und Finanzminister Derek Keys für 1994. Auf dem Arbeitsmarkt, der noch im ersten Quartal des Jahres 1993 um knappe zwei Prozent kontraktierte, dürfte sich dies kaum auswirken. Denn der Zuwachs kommt in erster Linie durch die erwartete Erhöhung des Goldpreises zustande. Zumindest die Bauindustrie, die neben den Bergwerken und den Automobilunternehmern die meisten Leute entließ, macht sich aber Hoffnungen auf einen Aufschwung durch das ANC-Wirtschaftsprogramm, das den Bau von einer Million Wohnungen vorsieht.

Gut geht es der südafrikanischen Exportwirtschaft. Die Ausfuhren nahmen im Dezember 1993 um 18,1 Prozent gegenüber dem gleichen Monat im Vorjahr zu – verglichen mit 12,5 Prozent mehr Importen. Aber die gesteigerten Exporte konnten die massive Kapitalflucht nicht ausgleichen. Nach Angaben von Zentralbankchef Chris Stals verdoppelte sich der Geldabfluß von 5,3 Milliarden Rand in der ersten Hälfte 1993 nochmals im restlichen Jahr. Der Strom ins Ausland von insgesamt 7,5 Milliarden Mark kann Südafrika noch teuer zu stehen kommen. Am 15. Februar war eine einmalige Tilgung von 800 Millionen Mark im Rahmen des Schuldenmoratoriums fällig. Davor schon reichten die Devisenreserven nur für Importe von fünf Wochen. Aber die Bilanz ist geschönt – sie enthält eine Zahlung des Internationalen Weltwährungsfonds von 850 Millionen US-Dollar.

Der Grund der Flucht ist eindeutig: Die Südafrikaner schaffen ihr Geld aus Furcht vor einer ANC-Regierung ins Ausland. Da nützen auch Erklärungen von Präsidentschaftskandidat Nelson Mandela nichts: „Wir haben Nationalisierung im Programm, die Wirtschaft will das nicht, und wir werden sie auch nicht anwenden.“ Die Anti-Apartheid-Organisation weiß, daß sie ihr Wirtschaftsprogramm – es schließt die Schaffung von 500.000 Arbeitsplätzen über die kommenden fünf Jahre ein – nur schaffen kann, wenn die Privatunternehmen mitspielen.

Koosum Kalyan von Ölmulti Shell in Kapstadt fürchtet, daß auf der Unternehmerseite nicht alle Chancen erkannt werden: „Wir haben die Wahl zwischen dem Szenario der Barrieren und dem Aufbruch zu neuen Grenzen.“ Die zweite Möglichkeit, so glaubt sie, kann auch den ANC überzeugen, daß die Privatwirtschaft am Aufbau des Landes interessiert sei.

Roy Mpofo wird dies vorläufig wenig helfen. Er gehört zu dem Heer der 50 Prozent Arbeitslosen, das laut Kalyan nur geschmälert werden kann, wenn in Südafrika dem Sektor der „Kleinunternehmen“ Vorrang gegeben wird.