Die Leiche bitte liegenlassen!

■ Blutrünstige spielten im „Mörderhotel“/Wiefelstede Krimi: Intrige, Entertainment und ein Mords-Media-Spektakel

Lecker, die Rote Grütze. Nur die Leiche läßt noch auf sich warten, wo wir doch nun wirklich schon beim Dessert sind. Da – ein Porzellan-Knall, der junge Herr am Nebentisch hält sich den Bauch, ein anderer springt auf: „Reinhold, wir brauchen dich noch!“ Weg sind die beiden, gefolgt von einer hysterisch schreienden, jungen Rothaarigen. Blitzlichter, Mikros, Kameras, das war's.

Na endlich. Nur leider floß kein Blut. Fast war es an unserem Tisch in der Ecke schon unerträglich unspannend geworden. Zwar hatte „Herr Sandmann“ äußerst unterhaltsam über seine Sandmännchen-Produktionen gesächselt und wir uns den neuesten Klatsch aus der Filmbranche über den Tisch geworfen. Wir, das war die Gruppe Der Clou. Allesamt PreisträgerInnen des Virginia-Filmpreises und nach Wiefelstede gekommen, um der Verleihung des 38. goldenen Virginia-Löwen beizuwohnen. Aber: um eigentlich etwas ganz anderes zu erleben. Einen Krimi nämlich.

Fünfzig Blutrünstige hatten sich letztes Wochenende im Sporthotel des Dörfchens Wiefelstede/ Nähe Oldenburg einquartiert, um dort das hautnah mitzubekommen, was ihnen sonst nur via Bildschirm oder Leinwand an den Nerven kitzelt und Reality-TV ganz weit hinter sich läßt. Das Bremer Reisebüro Incident Tours hatte Labsal versprochen und zum ersten deutschen Criminal Weekend (s.a. Kasten) aufs Land geladen. Die dafür engagierte Schauspielcrew lockte mit Mord, Intrige und für das richtige kommissarische Näschen mit dem (Wiefelsteder) Krimipreis.

Ein Ereignis, das vor allem die Presse aufs Dorf-Parkett geholt hat. Die Hälfte der TeilnehmerInnen ist hier „auf Arbeit“: RTL, Sat1, NDR, MDR, Frau im Spiegel sind zugegen, Radio Bremen berichtet gar live vom Schauplatz des Geschehens, und RTL hat einen eigenen Detektiv in die Runde geworfen, einen leibhaftigen Polizeibeamten.

Sei's drum. Mitten im Ammerland trifft sich heute passenderweise die crème de la crème des internationalen Films und die sind den Medienrummel ja gewohnt. Man kennt sich oder eben doch nicht, denn alle sind aus Gründen der Verwirrung genötigt worden, mit Beginn des Sektempfangs in eine fremde Filmhaut zu schlüpfen. Es schillern und glitzern auf ihren Namensschildchen unter anderen: Hollywood-Produzent Nick Gamble, Mordwaffenspezialistin Betti Brenzlich, Filmemacher Luigi Cannelloni (sein Hauptwerk: die 14-teilige Dokumentarserie „Wie backe ich eine Pizza Margherita selbst“) – und Autor Armin Beckmann. Ihm gebürt der diesjährige Preis. Und ihm zu Ehren werden wir nach dem kleinen Zwischenfall beim Dessert zur Verleihung gezwungen und dort auf die harte Probe plattester Unterhaltung gestellt. Dann teilt uns endlich Kommissar Klaus Jäger mit, daß Reinhold „nicht mehr unter uns weilt“. Vergiftet.

Ein Aufatmen geht durch die Runde: Die Nachforschungen können beginnen. Baby Ahnungslos befragt die Virginia-Besitzerin Frau Dr. Diedrich, ihr Geschäftsführer Herr Mohrwein intrigiert gegen Reinholds Verlobte Sabine, Harrison Opel hat schon seinen Täter im Visier. Da war doch die Pillendose – und wer außer Reinhold ist Diabetiker im Saal? Fährten über Finten, die Filmrollen sind vergessen, Detektive sind gefragt.

Und die schlafen nicht. „Meine Güte, heute nacht war was los“, berichten Mimmie Murphy und Konrad Opel am nächsten Morgen am Frühstückstisch. Schüsse sind gefallen, es gab eine Schlägerei. Das Paar aus Bochum hat Wiefelstede bereits verlassen. Angeblich wegen Krankheit.“ – Nick Gamble gibt im Vernehmungszimmer des Kommissars zu Protokoll: In der Nacht zum 12.3. von Zimmer 2 aus Schüsse gehört. Danach Schmerzensschreie, männlich. Danach Streit: Nein, ich gebe es nicht zurück. Ich habe es mir verdient. Stimme von Harrison Opel evtl. erkannt. Männl. Gestalt auf Balkon von Zimmer 42 gesehen. Verschwand im Zi. 42. Die Spekulationswut eskaliert.

Rechtzeitig zum Nachtisch, diesmal gab es Eis, gellt ein Schrei durchs Hotel. Der Pulk hastet ihm nach. Armin Beckmann liegt tot auf der Kegelbahn. Mit dem Schürhaken erschlagen. Rote Sauce tropft ihm aus der Schläfe. Fotogen! finden vor allem die Fernsehteams, die schon wieder an vorderster Front kämpfen. Und den zahlenden Kriminellen langsam die Lust am Spiel nehmen. Längst haben sich die Identitäten verwischt, man erzählt sich aus dem wirklichen Leben und holt sich zum Trost die Sendetermine von den TV-Teams.

Die Crew dagegen versucht mit Animation gegen den Spannungsnachlaß anzugehen. Die trampolinspringenden Flying Bananas werden zur Show bemüht, es folgt disco-dance am Samstagabend.„Man bekommt was geboten für sein Geld“, meint Konrad Opel standhaft, der die sechshundert Mark Teilnahmekosten immer noch lieber hierfür als für den Kurztrip nach Mallorca ausgeben will. Er rafft sich sogar gegen Ende ein letztes Mal auf, greift mit eigenhändig geschnipselten Drohbriefen (Ich weiß alles) ins Geschehen ein, und hat selbst zum blutspuckenden Herrn Mohrwein noch ein trockenes Statement fürs Radio parat: „Mein Hauptverdächtiger stirbt gerade. Das ist sehr deprimierend für mich.“

Herr Mohrwein ist nicht gestorben, sondern wird zum Schluß als einer der Mörder entlarvt. Ja, es hat zwei gegeben, denn Sabine Reinders ist dem Trugschluß aufgesessen, daß Armin Beckmann seinen Sekretär liquidierte, der sich als sein Ghostwriter outen wollte, und hat folglich ihren Bräutigam gerächt. Nur: daß Reinhold gestorben ist, war reiner Zufall, denn eigentlich galten die Giftpillen von Herrn Mohrwein Frau Dr. Diedrich. Unklar? Trösten Sie sich – auch die Criminal-Weekend-Frischler irrten bis zuletzt in der Story umher: „Herr Mondkalb? Herr Mooshuhn? Herr Mohrwein, ach so.“ Die schönste Urkunde sprich den ersten Platz und eine Leuchtfeuerpistole gewann übrigens Jenny Fischer (Team Der Clou). Silvia Plahl