„Diese Indios sollen endlich verschwinden!“

Noch diskutieren die Delegierten der zapatistischen Guerilla mit ihrer indianischen Basis über das mit der Regierung ausgehandelte Abkommen. Unterdessen machen in San Cristóbal die Gegner mobil  ■ Aus Mexiko-Stadt Anne Huffschmid

Kaum waren die Delegierten der zapatistischen Guerilla (EZLN) aus der „Friedenskathedrale“ von San Cristóbal abgezogen, begann die Gegenseite mobilzumachen. Auf wütenden Märschen protestierten in den letzten Tagen mehrere tausend coletos – die als rassistisch bekannten Mestizen von San Cristóbal – gegen die „ausländischen Priester“, verlangten den Vertriebsstopp unliebsamer Zeitungen, forderten die Armee zum Bleiben und die Nichtregierungsorganisationen zum Verlassen „unserer Stadt“ auf. Vor allem aber sollen aus dem malerischen Kolonialstädtchen endlich „diese Indios“ verschwinden. Immer lauter fordern die aufgebrachten Kaufleute, Klein- und Großunternehmer „energischere Maßnahmen“.

Und möglicherweise wurde dieser Wunsch in der Gemeinde Simojoval am vergangenen Mittwoch erstmals erhört: am Morgen dieses Tages erschossen „Unbekannte“ auf offener Straße in der Ortschaft El Carmito den Führer der „Bauernorganisation Emiliano Zapata“, den tztozil-Indianer Mariano Pérez Díaz. Augenzeugen berichten von acht maskierten Männern, die dem Bauernführer vor seiner Haustür aufgelauert hatten; sein Sohn Jorge wurde bei dem Anschlag schwer verletzt.

Zwar ist offiziell über die Identität der Täter bislang nichts bekannt. Für den Landesrat der Bauern- und Indianerorganisationen (CEOIC) aber ist der Mord an Pérez Diaz der Auftakt zu „einer Hexenjagd mit den Mitteln der selektiven Hinrichtung“.

Die Wut der guten Bürger von San Cristóbal – die sich selbst die authentischen coletos nennen – richtet sich vor allem gegen Samuel Ruiz, den Bischof der lokalen Diözese und Gastgeber für die als „Theater“ bezeichneten Gespräche zwischen Regierungsunterhändler Manuel Camacho Solis und der Zapatistenguerilla. Bei einer „symbolischen Schließung“ von rund 50 Kirchen am Mittwoch morgen hatte eine „Bürgerfront“ die Absetzung des streitbaren Gottesdieners verlangt und die „guten Katholiken“ des Ortes zum Boykott des Gottesdienstes aufgefordert. Und wenn Samuel Ruiz eine erneuerte „Kirche der Indianer“ fordert, wie es sie fünfhundert Jahre nicht gegeben habe, so soll er das mit einer „Diözese im Lacandonischen Regenwald“ tun, „damit der Bischof dann dahin gehen kann mitsamt seinen Indios“.

Überraschend kommt die Eskalation nicht: Denn sollte es mit der vereinbarten Auflösung und Umverteilung der „versteckten Latifundien“ ernst gemeint sein, so haben die lokalen Viehhalter und Landbesitzer allen Grund zur Besorgnis. Zwar bezeichnen sie sich gegenüber den zur Zeit allgegenwärtigen PressevertreterInnen gerne als unschuldige „Kleineigentümer“.

Die Agrarstatistik des südmexikanischen Armenhauses aber spricht eine andere Sprache: danach besitzen 2,8 Prozent der „landwirtschaftlichen Einheiten“ jeweils über 1.000 Hektar Boden – insgesamt 56 Prozent der Agrarfläche –, während 40,7 Prozent der chiapanekischen Bauern sich mit einer Parzelle von weniger als 10 Hektar begnügen müssen.

Und so riefen die ganaderos aus den guerillagefährdeten Gemeinden und die coletos aus der ehemaligen Kolonialhauptstadt dann auch zur Bildung einer „Bürgerfront der Regionalen Verteidigung“ ihrer Besitztümer auf. Auch eine Großdemonstration gegen den unbeliebten „Indianer-Bischof“ kündigten sie für die nächsten Tage an.

Unterdessen hielten in Mexiko- Stadt Hunderte von IndianerInnen aus dem Bundesstaat Guerrero den zocalo, den Hauptplatz, besetzt. Auf einem zwölftägigen Fußmarsch in die Hauptstadt demonstrierten sie den chiapanekischen RebellInnen ihre Solidarität. Nachdem die amuzgos, mixtecos, tlapanecos und nahuas einige Tage lang unter den Kolonialballustraden des Hauptplatzes gelagert und die Aufmerksamkeit der TouristInnen auf sich gezogen hatten, wurden sie schließlich vom Präsidenten empfangen. Und mit allerlei Zusagen zogen die guerrensischen IndianerInnen am Ende der Woche wieder Richtung Heimat: die Einrichtung von zusätzlichen Regionalfonds für Infrastruktur und zur „Förderung der indianischen Kultur“, die Genehmigung von selbstbestimmten Gemeindeprojekten und die „Überprüfung“ fragwürdiger Urteile gegen einsitzende Indianer. Außerdem sollen innerhalb von zwei Monaten Anhörungen über alle die indianische Bevölkerung direkt betreffenden Gesetzesinitiativen – wie zum Beispiel zu der geforderten Regionalautonomie – durchgeführt werden; daran sollen Mitglieder des „Guerrero-Rates 500 Jahre indianischer Widerstand“ ausdrücklich beteiligt werden.

Die Methode scheint sich herumzusprechen im Lande: auch aus dem nördlichen Nayarit haben Angehörige der Ethnien cora, tepehuana, huichole und mexicanera mittlerweile einen Marsch auf das Zentrum angekündigt; gestartet wird voraussichtlich nächste Woche.