Ende eines unangenehmen Besuches

US-Außenminister Christopher verläßt China und verbreitet leisen Optimismus über künftigen Handel / Peking: Keine Zugeständnisse auf US-Druck in Menschenrechtsfragen  ■ Von Ruth Bridge und Jutta Lietsch

Hongkong/Berlin (taz) – Vor seiner Abreise nach Wladiwostok verbreitete US-Außenminister Warren Christopher gestern milden Optimismus: Die Handelsbeziehungen zwischen China und den USA scheinen gerettet – trotz des kühlen Empfangs und der unangenehmen Athmosphäre während seines dreitägigen Aufenthaltes in Peking. Beim letzten Treffen mit seinem chinesischen Amtskollegen Qian Qichen habe er geringfügige Zugeständnisse in der Menschenrechtsfrage erlangt, sagte Christopher: „Ich würde das nicht als Durchbruch bezeichnen. Es war ein geschäftsmäßiges und produktives Treffen. Wir haben angefangen, unsere Meinungsverschiedenheiten zu verringern. Es bleibt eindeutig viel zu tun.“

Dies mag wenig genug sein. Es ist jedoch mehr, als er bei den vorherigen Begegnungen mit Qian, Premierminister Li Peng oder KP- Chef Jiang Zemin erreichen konnte, die in offen unfreundlichem Klima stattfanden. Christopher sagte, er habe eine „detaillierte Aufstellung“ über 235 politische Häftlinge erhalten. Er hoffe, eine ähnliche Liste von 106 in Tibet Gefangenen bald zu erhalten. Das sei „ein Schritt – aber noch kein abschließender Schritt“ in die richtige Richtung. China werde in einigen Wochen Gespräche über mögliche Gefängnisbesuche durch das Rote Kreuz beginnen. Die Regierung in Peking habe überdies schriftlich zugesagt, US-Diplomaten das Recht zuzugestehen, chinesische Gefängnisse zu besuchen, wenn der Verdacht besteht, daß in die USA exportierte Waren aus diesen Gefängnissen kommen.

Fragt sich, ob diese mageren Zugeständnisse ausreichen, um US-Präsident Bill Clinton zur Verlängerung der Handelsprivilegien für China zu überreden. Clinton hatte gesagt, daß die Regierung in Peking einen „insgesamt signifikanten Fortschritt“ in spezifischen Menschenrechtsfragen machen muß, wenn die Meistbegünstigungsklausel für China im Juni erneuert werden sollte. Während seines Wahlkampfes hatte Clinton geschworen, er werde sich stärker als sein Vorgänger George Bush für eine Beendigung der Repression in China einsetzen. Doch Clinton will die Handelsprivilegien für China ganz dringend verlängern: Zuviel steht für die Wirtschaft beider Länder auf dem Spiel. Nicht nur China könnte Milliarden US- Dollar verlieren. Auch USA-Firmen würden schwere Einbußen erleiden, da China gewiß mit Gegenmaßnahmen reagieren würde.

Das weiß die chinesische Regierung genau. Sie weiß auch, daß man im Weißen Haus nicht so eindeutig in bezug auf die Menschenrechtsfrage agiert, wie es nach außen scheint. Als es in den vergangenen Wochen darum ging, ob China vor dem UNO-Menschenrechtsausschuß kritisiert werden würde, hätten sich die US-VertreterInnen nach Ansicht von Beobachtern relativ zurückhaltend für eine Resolution gegen China engagiert. Vor allem in bezug auf Tibet haben die USA eher abgeschwächte Formulierungen favorisiert.

Überdies reiste ein hochrangiger Vertreter des US-Verteidigungsministeriums in Christophers Begleitung, der eine vom Pentagon gewünschte Militärkooperation vorbereiten soll.

Peking hat unmißverständlich deutlich gemacht, daß es keinesfalls dem amerikanischen Druck nachgeben will: „China wird nicht die Vereinigten Staaten werden, und die Vereinigten Staaten werden nicht China werden“, sagte Qian. „Wenn zwei Länder, um miteinander zu handeln, gleich werden müßten, dann würde es wohl keinen Handel auf der ganzen Welt geben. Ich glaube, daß der Handel zwischen China und den Vereinigten Staaten weitergehen wird.“

Christopher war so bestürzt über die Schikanen gegen Dissidenten bei seiner Ankunft in Peking, daß er einen Besuch in der Verbotenen Stadt absagte, weil er nicht wollte, daß man ihn beim Sightseeing sah, während Aktivisten der Demokratiebewegung im Gefängnis festgehalten wurden. Er wies auch die Teilnahme an einem Bankett von sich, um nicht die üblichen freundlichen Trinksprüche zwischen Gastgebern und angereisten VIP austauschen zu müssen.

In fast rüder Manier verhielten sich die chinesischen Gastgeber bei den Treffen mit Christopher. Sie kritisierten insbesondere die Begegnung des US-Unterstaatssekretärs für Menschenrechte, John Shattuck, mit Chinas prominentem Dissidenten Wei Jingsheng in der Vorwoche.

Diese Begegnung sei es gewesen, deutete Außenminister Qian am Montag an, welche das harte Vorgehen gegen die Dissidenten ausgelöst habe. Rund um Christophers Besuch wurden mehr als ein Dutzend Oppositionelle festgenommen, unter Hausarrest gestellt oder zum Verlassen der Hauptstadt gezwungen. Journalisten, die versuchten, Dissidenten zu interviewen, wurden ebenfalls stundenlang festgenommen. Eine Korrespondentin des BBC, Carrie Gracie, wurde vier Stunden lang festgehalten, nachdem sie chinesische Freunde besucht hatte, die keinerlei Verbindungen mit der Dissidentenbewegung hatten. In den meisten Fällen ließ man die Journalisten erst gehen, wenn sie eine Erklärtung unterschrieben, nach der sie nicht über die Unterhaltungen mit den betroffenen Dissidenten berichten würden.