■ 50 Jahre nach der Landung der Alliierten in der Normandie
: Deutschland freut sich (nicht)

Kaum hat sich der Streit um die Neue Wache in Berlin gelegt, taucht ein neuer, viel größerer Konflikt am Horizont auf. Am 6. Juni dieses Jahres jährt sich zum 50. Mal der Tag der Landung der alliierten Truppen in der Normandie, womit der Anfang vom Ende des Zweiten Weltkrieges seinen Lauf nahm. Und wieder geht es um die Frage: Wie feiert man ein Ereignis, das die einen als Befreiung, die anderen als Zusammenbruch verstehen, das den Völkern Europas so viel bedeutet, auch wenn sie aus sehr verschiedenen Perspektiven auf die Geschichte zurückschauen.

Bundeskanzler Kohl soll sich inoffiziell um eine Einladung zu den Feiern der Alliierten bemüht haben. Nachdem ihm bedeutet wurde, die Sieger würden an diesem Tag gerne unter sich bleiben, eine offizielle deutsche Teilnahme wäre nicht erwünscht, reagierte der Kanzler wie ein gekränkter Familienvater, der die Nichteinladung zu einer Gartenparty bei den Nachbarn beantwortet, indem er auch seinen Angehörigen verbietet, das Fest zu besuchen. Auf Wunsch von Kohl hat das Auswärtige Amt den deutschen Diplomaten im Ausland verboten, an Gedenkfeiern zu „militärischen Ereignissen der letzten Kriegsmonate“ teilzunehmen. An Feiern, die auf „Frieden und Versöhnung“ ausgerichtet sind, dürfen die Diplomaten nur mit einer Erlaubnis aus Bonn teilnehmen.

Man kann geteilter Meinung darüber sein, ob die Alliierten klug handelten, als sie Kanzler Kohl die Einladung versagten. Vielleicht wäre eine gemeinsame Feier von Siegern und Besiegten nicht nur von hohem symbolischen Wert gewesen, sondern auch ein klares Zeichen gegenüber reaktionären und revisionistischen Tendenzen in der Bundesrepublik: Wir wissen, und ihr wißt es auch, wem ihr es zu verdanken habt, daß Deutschland heute wieder zur Völkerfamilie gehört. Doch Kohls Reaktion schüttet das Kind mit dem Bade aus. Was werden deutsche Diplomaten in Warschau, Moskau, Tel Aviv, Prag und London sagen, wenn sie am 6. Juni zu Gedenkfeiern eingeladen werden? Vielen Dank, wir sind verhindert? Oder: Moment bitte, wir müssen erst beim Chef nachfragen, ob wir dürfen? Das Ganze ist keine Frage verletzter Eitelkeit oder des diplomatischen Protokolls, es geht darum, wie man als Deutscher zum Nationalsozialismus steht. Geht es um das schicksalhafte Jahr 1933, ist die Rede oft von der „Machtergreifung“, klingen die Worte so, als wären die Nazis plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht und hätten Deutschland ganz überraschend unter ihre Kontrolle gebracht. Man könnte meinen, die Nazis wären keine Deutschen gewesen, sondern Wesen von einem anderen Stern, wie wir sie aus den Abenteuern des Raumschiffs Enterprise kennen. Geht es dann aber um das Jahr 1945, will sich doch keine rechte Freude über das Ende dieser „Epoche“ einstellen.

Leider sind die Nazis nicht auf die gleiche Art verschwunden, wie sie gekommen sind, sie mußten mit Gewalt aus der Geschichte geschubst werden. Dann ist die Rede vom Zusammenbruch, von der Niederlage, was faktisch richtig, in der historischen Perspektive aber falsch ist. Das einzig angemessene Wort „Befreiung“ kommt nur wenigen über die Lippen. Wenn sich die Deutschen, was nicht ganz verkehrt ist, als die ersten Opfer der Nazis verstehen, warum sind sie dann den Alliierten nicht dafür dankbar, daß sie sie von diesen Monstern befreit haben? Mag sein, daß eine Befreiung, zu der man selbst wenig beigetragen hat, kein Anlaß zu übergroßem Stolz ist. Doch freuen wird man sich noch dürfen.

Am 6. Juni, dem Tag, an dem die Landung der Alliierten in der Normandie begann, sollte irgendwo in der Bundesrepublik, am besten in Berlin, eine Riesenfete stattfinden. Mit Unmengen russischen Kaviars, französischen Croissants, amerikanischen Hamburgern, britischen Fish and Chips, mit Musik, Feuerwerk und Helmut Kohl an der Spitze, der seiner grenzenlosen Freude Ausdruck geben sollte, daß er dank der alliierten Intervention der Kanzler eines demokratischen Deutschland werden konnte. In einem von den Nazis beherrschten Land hätte er es mit Sicherheit nicht so weit gebracht. Henryk M. Broder