Nettes Papier ohne Konsequenzen

■ Immer weniger Behinderte nehmen am Arbeitsleben teil / Verbände fordern "aktive und moderne Behindertenpolitik" / Auch die Bundesregierung erfüllt die Beschäftigungsquote von sechs Prozent nicht

Berlin/Bonn (taz/dpa/AFP) – Die Beschäftigung Behinderter ist in den letzten Jahren stark zurückgegangen. Das geht aus dem vom Bundesarbeitsministerium vorgelegten dritten Regierungsbericht über die Lage der Behinderten hervor. Danach fiel die Beschäftigungsquote von 1986 bis 1992 von 5,2 auf 4,3 Prozent, wie der parlamentarische Staatssekretär im Arbeitsministerium, Horst Günther, in Bonn mitteilte. Nur einmal in der Geschichte der Bundesrepublik hatte die Quote annähernd die gesetzliche Pflichthöhe von sechs Prozent erreicht: 5,9 Prozent im Jahre 1981, dem „Jahr der Behinderten“.

Laut dem Regierungsbericht, der nur alle vier Jahre verfaßt wird, schnitten die Privatfirmen dabei 1992 mit 3,9 Prozent schlechter ab als die öffentlichen Arbeitgeber (5,2 Prozent). Günther forderte die Arbeitgeber auf, ihrer gesetzlichen Pflicht zur Beschäftigung Behinderter mehr als bisher nachzukommen.

Behindertenorganisationen forderten gestern dagegen eine „aktive, moderne Behindertenpolitik“ der Regierung. Guter Wille und Appelle reichten nicht mehr, sagte Otmar Miles-Paul von der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben (ISL) in Kassel gegenüber der taz. Hans-Günter Heiden, der Pressesprecher des Bundesverbandes Selbsthilfe Körperbehinderter (BSK) in Berlin, bewertete den Bericht als „Papier mit netten Worten ohne Konsequenzen“.

Nach den gesetzlichen Vorschriften müssen in Betrieben mit 16 und mehr Stellen sechs Prozent der Arbeitsplätze mit Behinderten besetzt werden. Mit einer monatlichen Ausgleichsabgabe von nur 200 Mark können sich Arbeitgeber jedoch „freikaufen“. Etwa Zwei Drittel aller Betriebe machen von dieser Ablaßzahlung Gebrauch. Sowohl die ISL als auch der BSK fordern seit langem eine drastische Erhöhung der Ausgleichsabgabe um etwa das Zehnfache auf die Höhe eines „durchschnittlichen Monatseinkommens“. Auch dürfe die Abgabe nicht mehr von der Steuer absetzbar sein. Notwendig seien weiter ein Anti-Diskriminierungsgesetz, die Ausschöpfung bereits jetzt möglicher Bußgelder und die volle Kostenübernahme von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM), an denen Schwerbehinderte teilnehmen.

Übrigens hat auch die Regierung selbst ihr Ziel nicht erreicht, im Jahr 1993 die gesetzliche Pflichtquote für die Beschäftigung von Behinderten im Bundesdienst endlich zu erfüllen. Laut Arbeitsministerium lag der Anteil der Behinderten wie im Jahr zuvor bei 5,5 Prozent. Die Bundesregierung zahlte 1992 und 1993 etwa 11 Millionen Mark Ausgleichsabgabe jährlich. kotte