Auch ohne Blei im Lauf ist so manche Waffe gefährlich

■ Das deutsche Waffengesetz ist ein Dschungel: Keiner kennt die Anzahl „erlaub- nisfreier“ Waffen genau – nur die Folgen ihres Gebrauchs sind statistisch erfaßt

Das staatliche Gewaltmonopol ist längst zur Fiktion geworden. „Schützen Sie sich vor Verbrechen“ werben großflächig die Waffenläden in der ganzen Republik. Und die Masse folgt. Ein Boom, trotz oder wegen der Rezession, läßt die Fabriken für nicht genehmigungspflichtige, sogenannte „erlaubnisfreie“ Waffen wie Schreckschuß- und Gaspistolen, Spring- und Butterflymesser, Tränengas und Elektroschockgeräte auf Hochtouren laufen. Der Herstellerverband für Jagd- und Sportwaffen verzeichnet seit Jahren unglaubliche Verkaufssteigerungen; waren im Jahr 1991 noch 600.000 Gaswaffen verkauft worden, sind es 1992 schon 1,1 Millionen gewesen. Insgesamt, so Schätzungen vom vergangenen Jahr, dürften zehn Millionen solcher „erlaubnisfreien“ Waffen im Umlauf sein. Genau kennt die Zahlen niemand, nur die Auswirkungen sind statistisch belegt: So stieg die Zahl der Straftaten mit Schußwaffengebrauch von rund 12.500 im Jahre 1991 auf über 17.000 1992. Von 1993 liegen dem Bundesinnenministerium noch keine Zahlen vor. Über die Art der Waffen gibt eine noch ältere Statistik Auskunft. Danach waren 1990 von 1.709 insgesamt sichergestellten Schußwaffen immerhin 1.025 „erlaubnisfrei“ – also völlig legal.

„Erlaubnisfrei“ heißt, daß jedeR Volljährige solche Waffen im Laden kaufen darf, ohne Registrierung, ohne Waffenschein oder Waffenbesitzkarte. Diese Papiere braucht man nur für scharfe Waffen – und davon gibt es legal in der Bundesrepublik etwa weitere zwanzig Millionen Stück in den Händen von Jägern, Sportschützen und Waffensammlern. Mit einer Waffenbesitzkarte darf man die Waffe besitzen, aber nicht bei sich tragen, außer zum Transport. Fährt jemand mit einer Waffenbesitzkarte vom Einfamilienhaus zum Treffen des Schützenvereins, darf er sein Gewehr im Kofferraum haben. Beim Volksfest danach aber muß der Schießprügel sicher verwahrt sein, denn bei Volksfesten dürfen nicht einmal „erlaubnisfreie“ Waffen mitgeführt werden. Da dürfen dann nur noch Menschen Waffen tragen, die „wesentlich mehr als die Allgemeinheit durch Angriffe auf Leib und Leben gefährdet“ sind und bei denen „der Erwerb von Schußwaffen oder Munition geeignet ist, diese Gefährdung zu mindern“.

AK 47 Schnellfeuergewehr samt Munition im Angebot

Das derzeit geltende Waffengesetz ist ein Dschungel. Gaswaffen etwa sind deshalb „erlaubnisfrei“, weil man davon ausgeht, daß die Querstrebe im Lauf und verschiedene andere Merkmale ausreichen, damit diese Waffen „nach Umarbeitung mit allgemein gebräuchlichen Werkzeugen“ nicht mehr scharf gemacht werden können. Bei denen also keine „Geschosse durch einen Lauf getrieben werden“ können. Aber das Gesetz ist 30 Jahre alt, damals galten lediglich Werkzeuge wie Hammer, Zange und Schraubenzieher als „allgemein gebräuchlich“.

Nach jahrzehntelanger Heimwerkerbewegung sieht das ganz anders aus – das Gesetz aber nicht. Und so registrieren Waffenexperten heute „Umbauten in großem Umfang“: Durch ein wenig handwerkliches Geschick, etwa Aufbohren des Laufes und andere Veränderungen, wird die Schreckschußpistole plötzlich zum ausgewachsenen Ballermann. Zwar behauptet die Industrie, die Sicherungen so verstärkt zu haben, daß „erlaubnisfreie“ Pistolen nicht mehr scharf gemacht werden könnten. Aber bei den Polizei-Experten löst das allenfalls ein müdes Lächeln aus. Und auch ohne Blei im Lauf ist so manche Waffe gefährlich, wie die Berliner Polizei gelegentlich vor Schülern demonstriert: Als aufgesetzter Schuß wird da aus einer Gaspistole auf eine Wassermelone gefeuert – und die zerplatzt in tausend Stücke.

Wo einigen wenigen auserwählten Waffenscheinberechtigten zugestanden wird, sich mit scharfen Waffen zu verteidigen, da löst das Neid bei vielen anderen aus. Da können Psychologen und Polizei- Ausbilder noch so lange erklären, daß man sich am besten friedlich verhält, um Hilfe schreit oder davonläuft – die Argumentation der Selbstverteidigungsindustrie stößt auf offene Ohren. „Ob Park oder Parkhaus: Mit einem Modell aus dem ME-Selbstschutzprogramm fühlen Sie sich einfach sicherer“, wirbt ein Katalog der Solinger Firma Cuno Melcher. Dazu gibt's ein Bild, dunkles Parkhaus, aus dem Gegenlicht taucht ein Mann auf, ein Pärchen geht angstvoll und verschüchtert, die Frau klammert sich an den Mann, aber der ist so ein Weichei, wie der schon guckt. Die Lösung: ME 8 Combat, Kaliber 8 Millimeter, achtschüssig. Für Tränengas oder Leuchtpatronen.

Ohnehin aber, und das wissen auch die Hersteller, sind es meist nicht diejenigen, die als gefährdet gelten, die solche Waffen kaufen. Verkäuferinnen in Waffenläden berichten, daß es fast nie Frauen sind, die so etwas kaufen, „die nehmen nur Tränengas, wenn überhaupt“. Hauptopfer von Gewaltverbrechen wie auch Täter, so sagt's die Kriminalstatistik 92, sind junge Männer unter 21 Jahren. Alte Männer mit Kriegserfahrung wollen entweder von Waffen nichts mehr wissen oder „nicht solche Spielzeuge, sondern was Richtiges“. Und auch das ist in Deutschland 1994 kein großes Problem mehr. Zumindest im Osten Deutschlands – wo die abziehende Sowjetarmee verscherbelte, was eben so zu kaschieren war – gibt es noch ganz andere Kaliber. Da wird in einer Dorfkneipe im brandenburgischen Buckow schon mal ein AK 47 Schnellfeuergewehr mit 60 Schuß Munition für 1.500 Mark angeboten – ein überhöhter Preis übrigens. Wie viele Waffen so illegal in Umlauf geraten sind, ist eine große Dunkelziffer.

Wenigstens bei den „erlaubnisfreien“ Waffen soll jetzt etwas passieren. Ende 1992 brachte der Berliner Senat eine Gesetzesinitiative in den Bundesrat ein, die auch für Gaspistolen eine Registrierungspflicht vorsieht. Die ist zwar einstimmig durchgegangen, passiert ist aber bislang nichts. Und in dieser Legislaturperiode, so wird erwartet, geschieht da auch nichts mehr. Inzwischen geht der Verkauf munter weiter. Bernd Pickert