Schriftsteller als Scharlatan

Ein Porträt des Schriftstellers und Grafikers Johannes Jansen  ■ Von Friederike Freier

Wer Johannes Jansens öffentliche Auftritte kennt, weiß, daß er zu den eloquenteren unter den Schriftstellern zählt. Auch auf die langweiligsten Fragen gibt er freundlich Antwort, und seine Haltung kann als eher hedonistisch bezeichnet werden.

Schon bei der ersten Lesung, die ich besuchte, verwies er auf das Modell vom Schriftsteller als Scharlatan. Auf derselben Veranstaltung las er jedoch Geschichten von beeindruckender Leichtigkeit vor, die von seinem Alter ego namens Grell handelten, und verkündete, das Erzählen lernen zu wollen. Kürzlich im Brecht-Haus schließlich ergänzte Jansen das Bild, das ich mir von ihm gemacht hatte, indem er berichtete, daß er ursprünglich nur deshalb Schriftsteller werden wollte, weil ihm diese Existenzform gefallen habe. Daß dies Dasein auch mit Arbeit verbunden ist, habe er erst später gemerkt. Und so pathetisch es klinge – er könne nicht mehr leben, ohne zu schreiben. Schreiben sei im übrigen Spaß, wenn auch ein höllischer.

An diesem Abend wurde noch eine hübsche Formel für die Jansensche Schreib-Art gefunden: Leben und die Leser dabei zugucken lassen: Ich fand, daß dies zwar erst mal wunderbar klingt, genaugenommen aber auch ein bißchen klischeehaft, so nach Geniekult. Das liegt vor allem an der Geschichte mit dem „höllischen Spaß“, die mir seltsam bekannt vorkommt. Alles in allem: hinterfragenswert.

Ich hatte praktischerweise bereits ein Interview vereinbart, außerdem meine Bibliothek, in der von Jansen bereits einiges stand, um sein jüngstes Buch erweitert und war neugierig. Auch darauf, zu erfahren, was den ehemals zum Prenzlauer Berg gehörigen Autor, der einst eine Pankower Hinterhof-Seitenflügel-Wohnung besaß, nun ausgerechnet in das öde Wilmersdorf verschlagen hat.

Keine persönlichen Fragen, bitte

Ich fragte also danach, aber meine Neugier erwies sich als unproduktiv, denn Jansen konnte die Frage nicht leiden. Persönliches möge draußen bleiben, immerhin sei der Umzug aber eine willkommene Gelegenheit, diesen „Westteil, der mir ja nach wie vor etwas fremd ist“, kennenzulernen. Wilmersdorf sei zwar öde und nicht sein Fall, aber geeignet, sich zum Arbeiten zurückzuziehen: „Da fährt man dahin, wo was los ist, und dann hat man immer die Möglichkeit, sich zu verdrücken, wenn's brenzlig wird. Weil, hier kommen die Leute ja nicht so unbedingt hin.“

Daß ich bezug nahm auf sein öffentlich bekundetes „Leiden als Schreibimpuls“ und auch danach noch fragte, mochte er ebenfalls nicht so gern: „Man darf nicht alles gucken lassen“, denn „man muß vorsichtig sein.“

Im folgenden wird es also fast ausschließlich ums Werk gehen. Jansen lebt von Jobs, Grafikarbeiten, Lesungshonoraren, gelegentlich auch von Stipendien. Was das Bücherproduzieren angeht, so schreibt er nicht ausschließlich, sondern mischt Text mit Zeichnungen, die entweder nebeneinanderstehen oder zum Comic verarbeitet sind. Er probiert herum, wie in seinem neusten Buch, das in Kooperation mit der Grafikerin Antje Kahl entstand und „Unsereins“ heißt.

Es ist ein Schwarzweiß-Bilderbuch mit drei vage umrissenen Kapiteln (1. Ahnungen; 2. Männer und Frauen; 3. Sonstiges) und steht dem Anspruch, erzählen lernen zu wollen, diametral entgegen. Zwar enthält es Geschichten, aber die sind kurz und ungeschlossen, „so Reste“, um mit dem Autor zu sprechen: Hier reden Stimmen, von denen man bestenfalls ahnt, aus welcher Zeit sie kommen und wo sie sich eigentlich befinden. Heißgeliebte Endzeitstimmung.

Richtig schwer hat's der Erzähler heute

Sowohl für das Buch als auch für seinen Text zu einer Multimedia- Performance (produziert mit Ulv Jakobsen und André Peters in der Akademie der Künste) hat Jansen beim Österreicher Heimito von Doderer ein Motto entlehnt: „Ja, was denn nun eigentlich?!!//Ja – das weiß ich nicht.“ Will sagen, Erzählen ist nicht so einfach heute.

Warum denn das, wollte ich wissen. Jansen, lächelnd: „Na, die Schwierigkeit beim Erzählenlernen heutzutage ist im Grunde genommen, daß du dich in einer Welt befindest, in der man eigentlich nichts erzählen kann...“ – „Warum denn nicht?“ unterbrach ich ihn. – Jansen: „Weil es natürlich andere Formen gibt, in denen das viel besser passieren kann. Das Kino ist da der Literatur weit voraus, und auch die kriegen ja zunehmend Schwierigkeiten. Und die Wahrnehmung funktioniert ja auch so resthaft. Wenn man sich überlegt, daß eigentlich alle Leute Fernseher haben und fast alle eine Fernbedienung dazu und dann durchdrücken – da reduziert sich die Wahrnehmung auf solche Schnipsel. Und das merkst du dann auch, wenn dir Leute Geschichten erzählen. Das sind immer nur kleine Reste. Es ist nie ein großer Bogen, sondern immer ein Detail. Natürlich denke ich schon, daß man das noch weitertreiben kann. Aber diese Form der Ansätze, so heißen eigentlich diese kleinen Geschichten, die anfangen und aufhören, bevor sie richtig losgegangen sind, die ist nicht von ungefähr entstanden. Ich hab' gemerkt beim Schreiben, da ist immer so ein Punkt, wo's nicht weitergeht, und wo ich mir dann gesagt hab', dann wird das schon seine Richtigkeit haben, dann muß das so stehenbleiben.“

Johannes Jansen/Antje Kahl: „Unsereins“, collektion Kontext, Berlin 1994, 30 DM (die Abbildung rechts ist diesem Band entnommen).