Autor Ohneland

Christoph Hein erzählt beschaulich  ■ Von Anke Westphal

Ein merkwürdiger Titel ist nicht immer ein merkenswürdiger Titel. Ein Autor wie Christoph Hein, der Rindvieh erhaben exekutieren statt schnöde schlachten läßt, lädt nicht ohne Absichten Alltägliches und Banales mit metaphorischer Bedeutung auf. Die kleine Begebenheit wird zur lehr- und beispielhaften Legende, eine höchst moralische Angelegenheit, die leider aber eventuell mit Langeweile droht. Hein versteht sich als Chronist, der „das aufschreibt, was passierte“. Mit seiner jüngsten Veröffentlichung ist er wieder ein höchst moralischer Chronist.

„Exekution eines Kalbes“ versammelt sechzehn größtenteils unveröffentlichte Erzählungen, die zwischen den Jahren 1977 und 1990 entstanden sind. Heins Credo ist simpel: „Wir benötigen unsere eigene Vergangenheit für unsere Zukunft.“ Christoph Hein hat noch einmal DDR-Literatur im pursten Wortsinn geschrieben. Hier hängt noch einer an der Utopie von der Literatur als moralischer Anstalt, vom Buch als pädagogisch wertvollem Ferment. Der Exotenbonus des Ostens ist verschwunden, der Artenschutz für Ex-DDR-Autoren längst aufgehoben – was teilt eine ihrer geachtetsten Leitfiguren dem Publikum also heute mit?

In „Exekution eines Kalbes“ hat Christoph Hein „Standhaftigkeitsgeschichten“ aufgeschrieben, Geschichten kleiner Leute meist, die gegen die Widerstände welchen Staates auch immer ihre Integrität und ein kleines Glück zu bewahren suchen. Der Erzählgestus ist beschaulich – mal heiter, mal schwerfällig; die Szenerie liegt weit entfernt – in der DDR oder im Dritten Reich. Gleich in der Titelgeschichte, einer verwinkelten Rinderpiraterie, wird in halbseitenlangen Sätzen ein Gesellschaftsgefüge beschrieben, in dem sich Genossenschaftsbauern zwischen Kühen, Ställen, Mist und Parteidirektiven um den privaten Sinn- und Glücksanspruch innerhalb des offiziell deklarierten Fortschritts balgen. In manchem hier steckt ein Anarchist, wie etwa in Bauer Gotthold Sawetzki, der in seiner Verzweiflung ein Kalb „exekutiert“, für das es keinen Platz in den Genossenschaftsställen mehr gibt. Ein Thema wie aus den sechziger Jahren, als die DDR-Literatur das Ich, den einzelnen und die Subjektivität entdeckte, hier garniert durch Sätze von traurigem Pathos wie „Das Leben ist mir davongelaufen“ oder „Das kann doch nicht alles sein. Halb besinnungslos hab ich mich geschuftet, aber irgendwann sollte der Spaß anfangen.“ Heins Helden finden selten ein inneres Zuhause zwischen moderner Kohlhaaserei und selbstbetrügerischer Genügsamkeit. Ihre groteske Unbeugsamkeit dient als Folie einer moralischen Kritik der Staatsvernunft, die das private Glück beschädigt oder unmöglich macht und deshalb umgangen werden muß. Auch in „Ein sächsischer Tartüff“ verteidigt ein Arbeiter mit Chuzpe seine in den Nachkriegswirren mühsam erkämpfte Wohnung gegen Privilegienhuberei.

Hein schwingt sich wie ein Anwalt Sisyphos' noch und noch auf zur Verteidigung der Rechte und Würde des einzelnen, der Verfolgten, Erniedrigten und Beleidigten, Krüppel, Kinder, Alten und der Verkäuferinnen. Sie sind nicht selten von einer moralischen Überlegenheit, die sie leider nicht besonders interessant macht. Der moralische Anspruch seiner Erzählungen sagt wohl vor allem etwas über Hein selbst. Man hat es hier immer noch mit demselben altmodischen und standhaften Autor zu tun. Aus ihm ist zwar ein Johann Ohneland, aber kein Prediger ohne Kanzel geworden.

Christoph Hein: „Exekution eines Kalbes“. Erzählungen. Aufbau Verlag, 190 Seiten, geb., 29,90 DM