Stimmungsbarometer der Wähler

■ „infas“ registriert wohlwollende Gelassenheit

Kiel (taz) – Die Stimmung in Schleswig-Holstein, mit Zahlen belegt: Für 75 Prozent der Schleswig-Holsteiner spielt die inzwischen ein Jahr dauernde Schubladen-Affäre bei ihrer Wahlentscheidung keine Rolle. Dies ergab eine telefonische Umfrage des Meinungsforschungsinstituts infas kurz vor der Kommunalwahl am kommenden Sonntag. Lediglich sechs Prozent erklärten laut infas, daß es ihnen bei der Stimmabgabe in erster Linie um eine Abrechnung gehe. Den Wählern in Schleswig-Holstein geht es um die Politik vor Ort, fast jeder zweite (48 Prozent) will nach Angaben von infas primär über die Politik in seinem Kreis, seiner Kommune abstimmen. 22 Prozent der Befragten wollten nach der Landespolitik entscheiden, 26 Prozent nach der Bundespolitik. Die SPD im Land freut sich über das Ergebnis. Die CDU dagegen versuchte am Tag nach der Veröffentlichung der Umfrage, die Stimmung unter den Genossen zu schüren. In einem Brief an alle SPD-Kreisvorsitzenden hat der CDU-Landesvorsitzende Ottfried Hennig die Sozialdemokraten gebeten, dafür zu sorgen, „daß das Kartell des Schweigens in der Kieler SPD-Spitze endlich aufgebrochen wird“. Der Plöner SPD-Kreisvorsitzende Klaus Potthoff antwortete Hennig prompt: „Den Bürgern hängt die Schubladen-Affäre zum Halse heraus. Lassen Sie uns streiten über den besseren Weg des Abbaus der Arbeitslosigkeit, der Verhinderung von weiterem Sozialabbau. Verplempern Sie nicht Ihre Zeit damit, uns scheinheilige Ratschläge zu geben.“ Vor vier Jahren hatte die SPD zum ersten Mal auf der Kreisebene mit 42,9 Prozent gewonnen. Es folgten die CDU mit 41,3, die FDP mit 6,1 und die Grünen mit 6,0 Prozent. Nach der infas-Umfrage bei 509 Schleswig- Holsteinern bleibt die SPD mit 42 Prozent stärkste Partei. CDU (37,5%) und FDP (3²) müssen mit hohen Verlusten rechnen. Die Grünen gewinnen 2 Prozent dazu.

Für die Wählergemeinschaften errechnete infas 5 Prozent. Die rechtsradikalen Parteien erhalten laut infas 1 Prozent. Auf Gemeindeebene hatten vor vier Jahren die Wählergemeinschaften die Parteien überrundet. Sie hatten von den rund 12.000 zu vergebenden Mandaten rund 5.000 geholt. Doch die Wählergruppen drängen 1994 vermehrt auch in die Kreise und größeren Städte. Für zehn von fünfzehn Kreistagen und Ratsversammlungen haben Wählergemeinschaften und neue Protestparteien ihre Kandidaturen angemeldet. Die Partei der dänischen Minderheit, der Südschleswigsche Wählerverband (SSW), hat Kandidaten in den Kreisen nördlich des Nord-Ostsee-Kanals aufgestellt. Die rechtsradikalen „Republikaner“ kandidieren in Lübeck und im Kreis Rendsburg-Eckernförde und die rechtsextreme NPD im Herzogtum Lauenburg. Rund 2,1 Millionen Einwohner sind am kommenden Sonntag bei der Kommunalwahl in Schleswig-Holstein wahlberechtigt. Davon sind etwa 52 Prozent Frauen. Etwa 49.000 Bürger können in Schleswig-Holstein zum ersten Mal an einer Wahl teilnehmen. Die älteste Wahlberechtigte ist 106 Jahre alt.

Nach Angaben des Landeswahlleiters Ulrich Mann sind in 1.098 Gemeinden, vier kreisfreien Städten und elf Kreisen 13.007 Mandate zu vergeben. In 27 Gemeinden, die nicht mehr als 70 Einwohner haben, wird keine Gemeindevertretung gewählt. Dort werden alle Entscheidungen in der Gemeindeversammlung, an der sämtliche Dorfbewohner teilnehmen, gefällt. kek