Wand und Boden: Das Kribbeln der Vernunft
■ Kunst in Berlin jetzt: Hada, Hayes, Monastyrskij
„Blaupelzchen war kein gewöhnliches Kaninchen, sondern aus himmelblauem Plüsch mit einer riesengroßen rosa Seidenschleife um.“ Unmittelbar aufs Gedächtnis wirkt die Sprache der Dinge am Anfang, wenn man selbst noch sich als Teil ihrer Welt empfindet. Der Proust kommt erst später. Die Video-Installation von Akiko Hada verbindet beides: Das Kaninchen als Corporate identity der Kindheit und erotisches Objekt zugleich. Auf zwei parallelen Monitoren laufen eine Reihe einfacher Handlungen unverbindlich aneinander vorbei. Zum einen zeigt Hada übertrieben obsessive Bilder vom nervigen Knuddelzeug mit dazwischengeschnittenen stummen Szenen, in denen sie einem Plüschtier die Ohren abschneidet oder an dessen Kunstfell-Popo nuckelt; auf dem anderen Bildschirm sind erotische, quasi-lesbische Performance-Aktionen mit weiblichen Helden aus Hongkong-Action-Serien gemischt, die zu Hammondorgel-Musik vom Motorrad stürzen. Die einzige Verknüpfung ist Hada, die zwischen ihren Kaninchen dem Autismus nahe in ein Nachthemd gehüllt den Spielzeug-Kreis um sich herum mit aller Kraft geschlossen hält. Bei Einstellungen ohne das Getier kauert sie wie abgewiesen in einer Ecke. Im zweiten Video indes ist sie die Handelnde, deren Hände Betten auseinanderrupfen oder über einen nackten Körper streichen: „We are sisters“, so der Titel eines dazu passenden Videobild-Druckes. Und mit der Zeit identifiziert man sich auch mit der kindlichen Arbeit am Plüsch, ob mit oder ohne Schere/Liebe. Selbst das völlig zerfetzte Vieh wird plötzlich so vertraut, als wäre es die Erinnerung an das eigene.
Kaninchen haben keinen Mund, bis 9.4., Di-Fr 14-19, Sa 11-14 Uhr, Zwinger Galerie, Dresdener Straße 125.
Auch bei den kleinen Trümmerszenarios, die Paula Hayes Judy Lübke in die Galerie Eigen + Art gestellt hat, hilft der Rückgriff auf alte Instinkte bei der Umwandlung von zunächst wahllos herumhängendem oder -liegendem Material in Kunst. Aus Silberpapier, Strumpfbandspitze, Glitterstaub und Styropor entstehen holperige Landschaften mit so abschreckenden Titeln wie „The End“ oder „Within the icy fruit“. Trotzdem versuchen die allzu plaziert nachlässig angehäuften Krimskrams-Installationen den Moment des Chaotischen, der eigentlich dem fruchtbaren Augenblick gleichkommt, festzuhalten: Dann hängt alles Zeichenhafte mit jeder Form zusammen, und noch von den sich verästelnden Wurzeln einer an die Wand gezeichneten Rhizom-Knolle strahlt eine weise Ruhe ab, die sich in jedem Objekt widerspiegelt. Hayes liebt den mit Bedacht arrangierten Trash und seine mikro-rhetorischen Reize, die sich in der Nahsicht gerade als Provisorium auftun – was sie arg in die Nähe zu den zenbuddhistisch gefertigten Tonfiguren von Dan Asher rückt, der um die Ecke in der Gipsstraße bei Johannes Zielke ausstellt, was eine zusammengepreßte Faust aus Matsch alles formen kann, wenn die Intuition es denn will. So ähnlich malt sie manchmal auch. Jedes der ins Biografische lappenden, zusätzlich ausgestellten Bilder im oberen Raum der Galerie erzählt eine fahrige Geschichte, die aber formal sehr klar durchkomponiert auf den Punkt kommt. Auf zarte Buntstiftblumen wird mit kackbraunem Öl gekleckst, oder sie werden mit ornamentalen Collagenschnipseln verklebt. Hier breiten sich nun ganze Sätze in den Wurzeln, Ästen und Blattadern aus, etwa „I never worshiped the ground you walked on“, wenn es doch wieder einmal um Liebe geht.
Bis 16. 4.; Di-Fr 14-19, Sa 11-14 Uhr; Auguststraße 26.
Merkwürdig, wie es überhaupt zur Ausstellung der „Unterschriften“ von Andrej Monastyrskij kommen konnte. Hinter den zweimal vierzig gerahmten Fotokopien stecken immerhin zwölf Monate Arbeit, und trotzdem kommt am Ende statt Art vor allem Language heraus. Im Grunde gibt es wenig zu sehen, viel zu lesen, und der Nachvollzug ist einem freigestellt: Über die Bedeutung der freischwebenden ovalen Scheibe, die pechschwarz in der Mittelachse des Raumes hängt, haben sich die Mitglieder der „Kollektiven Aktionen“ – eine sowjetische Konzeptkunst- Gruppe, der neben Monastyrskij auch Prigov, Sorokin und Kabakov anhingen – nicht festlegen wollen. „Kurz gesagt, es ist schwierig, seinen Sinn zu bestimmen, wobei seine Hauptbedeutung möglicherweise darin besteht, auf ein vom Verstand unbeeinflußtes Ergebnis des Ereignisses hinzuweisen, welches von ihm selbst auf materieller Ebene vergegenständlicht und akkumuliert wurde.“ Parteirussisch at its best, Sätze wie aus Krypton geschmiedet und zurück aus der Zukunft gesendet, möchte man meinen und den Konzeptualisten Monastyrskij zu seinem Humor in Sachen sektiererische Post-Negations-Affirmations-Theologie beglückwünschen, wäre die Arbeit nicht so streng mit der Raum-Architektur verbandelt: als museale Gedankengedenkstätte. Womöglich meint er diese freimütige Ontologisierung des Gar-Nichts gar ernst. Jetzt jedenfalls gruppieren sich wie Satelliten schwarze Dokumentenmappen um die überdimensionale Matte als Dissidenten-Ikone. Zuvor soll sie im Zentrum der mysteriösen Aktion „Finsterer Ort“ gestanden haben, die 1983 irgendwo in einem Waldstück durchgeführt worden war: Die Mappe wurde an der dunkelsten Stelle in den Wald gehängt. Seitdem führt Monastyrskij darüber Buch und belegt von den prozentual aufgeschlüsselten Autorenhonoraren bei der damaligen Performance bis zu peniblen Besucherlisten, daß in der Kunst der Verwaltung nichts verlorengehen kann. Die Aktion selbst verschwindet um deren Vollständigkeit willen hinter Zahlen, Namen und Figuren, wobei sich die Unwiederbringlichkeit des Geschehens in der totalen Aufschreibung als erotische Geste entpuppt: Nur aus der Limitierung auf Fakten kann der Überschuß an imaginären Reizen bis hin zum Erhabenen aufsteigen, urteilte Kant über die Kraft der Einbildung. Und zwischen der finster schwarzen Matte und den ordnungsgemäßen Unterschriften erfaßt einen plötzlich – das wohlige Kribbeln der Vernunft: So wie bei Ilya Kabakov die Erregung „ungeahnte Ausmaße erreichte, als ich in den Mappen regelrechte Instruktionen entdeckte“. Auch das steht im Buch.
Bis 17.4., Di-So 15-19 Uhr, Kunst- Werke, Auguststraße 69. Harald Fricke
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