Rechtes Outing

Akademisch gebildete männliche Nationalisten in Solidarität mit Rechtsableger Rainer Zitelmann  ■ Von Micha Brumlik

Mitteilungen im montäglich erscheinenden Hamburger Magazin sorgen noch immer für Aufregung. Berichtet wurde, daß fünfzig Journalisten der Welt, des altgedienten antikommunistischen Flaggschiffs der Firma Springer, gegen den neuen Ressortleiter der „Geistigen Welt“, Rainer Zitelmann, protestiert haben. Sogar ihnen schien über die Hutschnur zu gehen, was der Historiker – der Adolf Hitler als Revolutionär enttarnte und in seiner Zeit bei Ullstein Autoren wie Heinrich Lummer verlegte – journalistisch in der „Geistigen Welt“ treiben läßt. Vielleicht waren sie auch nur beleidigt, weil der Neue sie als „Nischenkonservative“ bezeichnet hat. Das alles wäre langweilig, wenn Zitelmann nicht einer Solidarität teilhaftig geworden wäre, bei der es einem wie Schuppen von den Augen fällt.

„Mit Empörung haben wir“, heißt es da furchtbar betroffen, „verschiedenen deutschen Presseorganen entnommen, daß vor dem Hintergrund redaktionsinterner Auseinandersetzungen in der Tageszeitung Die Welt unser Kollege Rainer Zitelmann in die Nähe von Rechtsradikalismus gerückt wird.“ Wo doch aus langjähriger Kenntnis seiner Person und seiner Veröffentlichungen bekannt sei, daß er ein Journalist ist, „der seine ganze politische Erfahrung zur kompromißlosen Verteidigung der Demokratie gegen Angriffe von Links- und Rechtsradikalismus eingesetzt hat“.

Die Liste der Unterzeichner ließe sich soziologisch als beinahe repräsentativer Querschnitt der bisher zu wenig beachteten Gruppe akademisch gebildeter männlicher Nationalisten betrachten. Hier treffen sich traditionelle, nach 1989 gleichsam arbeitslos gewordene Antikommunisten, wie der Gewerkschaftstheoretiker Manfred Wilke, mit professoralen Predigern des Machtstaates, wie Hans Peter Schwarz, und Befürwortern einer sozialpatriotischen Wende der deutschen Politik. Gewiß ist der Überhang an Historikern dem Umstand geschuldet, daß Zitelmann selbst Historiker ist. Gleichwohl wird deutlich, in welchem Ausmaß in diesem Fach eine überwunden geglaubte nationalistische Perspektive grassiert.

Hier eine kleine Auswahl der Unterzeichner: Es verwundert wenig, daß der alternative Deutschlandpolitiker Herbert Ammon, dessen Herz schon immer national pochte, sich solidarisch erweist. Daß ein intellektueller Querulant wie der Zeitgeschichtler Arnulf Baring mit dabei sein will, wenn es wieder kracht, wird man ihm um so mehr nachsehen, je weniger ernst man ihn nimmt. Der deutsch-jüdische Patriot Michael Wolffsohn, auch Historiker, nutzt jede Gelegenheit, nationale Gesinnung zu demonstrieren. Außerdem hat der Kirchenhistoriker Gerhard Besier, der die Verstrickung der evangelischen Kirche in den SED-Staat erforscht, unterschrieben und so nachgewiesen, daß auch die theologische Fakultät zu Heidelberg nicht immer vom Heiligen Geist beseelt ist. Ein weiterer Unterzeichner, Andreas Bönte, ist Redakteur von „Report“, München, Günter Nenning und Brigitte Seebacher gehören ohnehin dazu. So weit, so unerheblich.

Aber: Warum der Bündnisgrüne Wolfgang Templin und das SPD-Mitglied Tilman Fichter? War Templins Interview in der Jungen Freiheit nicht schon genug Demonstration von Eigensinn? Vielleicht ist er nur verwirrt, kein Nischenkonservativer zwar, aber eben doch ein Nischenossi, der seine Schwierigkeiten mit radikal- liberalen, an universellen Menschenrechten orientierten Positionen hat und sich nach der Kuschelecke – nicht der sozialistischen Menschengemeinschaft, sondern – der Volksgemeinschaft sehnt.

Ein wirklicher Skandal hingegen ist die Unterschrift von Tilman Fichter – immerhin Leiter einer SPD-Parteischule, die Funktionäre politisch weiterbilden soll. Fichter, ehemaliges SDS-Mitglied und Genosse von Rudi Dutschke, der von den extremismusforschenden Mitunterzeichnern Backes und Jesse als Verfassungsfeind herumgeboten wird, ist von der nationalen Frage besessen und sieht es als Unglück der SPD, nicht Kurt Schumacher gefolgt zu sein. Seine Unterschrift belegt eindrucksvoll die gern bestrittene These, daß nationale Orientierungen früher oder später nach rechts führen.

Die Ehrenerklärung für Zitelmann stellt nicht weniger als die selbst ausgestellte Geburtsurkunde einer Neuen Rechten Intelligenzija dar. Tatsächlich, die Zeit der Nischenkonservativen ist vorüber, die Durststrecke in Blättern wie Criticon, MUT und Junge Freiheit vorbei. Ganz wie die Nouvelle Droite in Frankreich, die schließlich im Figaro-Magazin angekommen ist, hat die hiesige Neue Rechte den Marsch durch die publizistischen Institutionen geschafft. An Zitelmanns Freunden sind indes nicht die alten Kameraden aus der Kampfzeit der achtziger Jahre von Interesse, sondern Märzgefallene wie Fichter. Sie wissen, warum sie es just dieser Tage wagen, sich als Angehörige der nationalen Rechten zu offenbaren. Während hierzulande Wählerinnen und Wähler zur Mitte zurückzukehren scheinen, verändert sich das kulturelle Klima nachhaltig. Daß 1993 das beste Nachkriegsjahr des europäischen Faschismus war, ließ sich nicht bestreiten. Auch 1994 scheint sich dieser Trend mit Haiders Stimmengewinnen in Kärnten, Schirinowskis wachsendem Einfluß in Rußland und Berlusconis möglichem Wahlsieg in Italien fortzusetzen. Auf all dies reagiert eine ebenso überzeugte wie berechnende nationalistische Intelligenz einfühlsam und differenziert. Um die „Geistige Welt“ formieren sich heute akademische Hilfswillige, um nach der Bundestagswahl die Volksparteien nach rechts zu wenden.

Und die Welt im allgemeinen? Aller Wahrscheinlichkeit nach wird die Riege der alternden, offiziell philosemitischen Antikommunisten dem Zeitgeist gemäß nachgeben und vor den jungen Nationalneutralisten kuschen. Am Ende aber ist es doch der Antisemitismus, der zeigt, wes Geistes Kind jemand ist. Wer in der Welt trug denn nun die Verantwortung für den Abdruck von Will Trempers widerwärtiger, antisemitischer Kritik an Spielbergs „Schindlers Liste“? Sollten tatsächlich Zitelmann, Schwilk oder Schacht dafür verantwortlich gewesen sein, werden sich ihre Freunde fragen lassen müssen, warum sie sich mit Journalisten solidarisieren, die dem Judenhaß Vorschub leisten.

In Buñuels Film „Tagebuch einer Kammerzofe“, in dem es um den Aufstieg des französischen Faschismus Anfang des Jahrhunderts geht, ist am Ende ein Blitz am Horizont zu sehen. Die Solidarität mit Zitelmann und Schwilk hat die vernebelte kulturelle Landschaft der Bundesrepublik blitzartig erhellt.