Neue Jobs – so einfach wie Ölbohren

■ Zweiter Arbeitsmarkt: Wissenschaftler und Praktiker diskutierten auf Berliner Kongreß über Wege aus der Arbeitslosigkeit / Alternativbetriebe der 70er und 80er Jahre haben Vorbildfunktion

Berlin (taz) – Andreas Küstermann ist Schreiner. Jahrelang hat er in einem Tischlereikollektiv gearbeitet – mit Selbstverwaltung und ökologisch vertretbaren Materialien, anfangs bei 1.000 Mark Monatslohn und unter Beobachtung spöttischer „Experten“, die dem Unternehmen nicht mehr als ein Jahr geben wollten. Heute, knapp zehn Jahre später, ist die Schreinerei in der Nähe von Stuttgart nicht nur aus dem Gröbsten raus, sondern sogar gewachsen. Sie ist auch – wie Hunderte vergleichbarer Alternativbetriebe – von Wissenschaftlern und Politikern als zukunftsweisendes Modell im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit entdeckt worden.

Wege aus der Massenerwerbslosigkeit wollten Wissenschaftler, Gewerkschafter, Wirtschaftsvertreter und Politiker am Donnerstag und Freitag in Berlin finden. Arbeitssenatorin Christine Bergmann (SPD) hatte zum zweiten Europäischen Arbeitsmarkt-Kongreß eingeladen. Am Ende des Tagungsmarathons stand ein einziges konsensfähiges Ergebnis: Ein Allheilmittel ist auf keinem Podium gefunden worden. Statt dessen begaben Experten und Fachpublikum sich in verschiedenen Richtungen auf die Suche nach der Arbeit von morgen. Einige setzen auf den ersten, marktwirtschaftlich orientierten Arbeitsmarkt, wollen Arbeitszeit verkürzen und auf immer mehr Beschäftigte umverteilen. Andere wollen neue Jobs schaffen – im „ökosoziokulturellen Bereich“.

Diese Nische haben besonders die südeuropäischen Länder sowie Großbritannien und Irland ansatzweise für sich erschlossen. Die irische Regierung hat etwa eine Ausbildungs- und Beschäftigungsagentur (FAS) gegründet, die sich in die Kommunen bemüht, um dort Jobs oder zumindest Beschäftigung zu schaffen. 40.000 Langzeitarbeitslose arbeiten bereits im ehrenamtlichen „Community Employment“-Programm. Sie lesen kranken Kindern vor, säubern Parks, erledigen den Einkauf für Behinderte oder Alte, bekommen dafür aber nicht mehr als den üblichen „Social Welfare“-Scheck. Für bezahlte Jobs ist das parallel laufende „Community Enterprise“- Programm zuständig, das seit 1985 Gründungen von Kooperativen mit Kursangeboten und Staatsgeldern fördert. 3.000 Iren haben sich auf diesem Weg ihre Jobs selbst geschaffen, bilanziert FAS-Manager Peter Finnegan. Daß diese Kleinbetriebe sich nach einem Jahr vom Staat abnabeln und auf dem Markt behaupten müssen, ist Teil des Programms.

Ein Rezept auch für die Bundesrepublik? „Die Hausfassaden zerbröckeln und dahinter sitzen Arbeitslose in ihren Wohnungen und warten auf Arbeit.“ Franziska Eichstädt-Bohlig, Berlinerin mit Stadtentwicklungserfahrung in den einschlägigen Bezirken, sieht darin eine Schizophrenie. Sie setzt wie die meisten deutschen Kongreßteilnehmer auf den „zweiten Arbeitsmarkt“, der jenseits der rauhen Marktwirtschaft mit Staatsgeldern angeschoben werden könnte. Dessen Etablierung sollte, so betonen vor allem die Briten, mit einem neuen Arbeitsbegriff einhergehen. „Die Menschen haben die richtigen Ideen für Initiativen in ihrem Umfeld. Das ist wie Ölbohren, man muß nur an der richtigen Stelle ansetzen“, fordert Tony Gibson von der britischen „Neighbourhood Initiatives Foundation“, die seit 1988 mit Gemeindegruppen arbeitet. Diese „Gemeinwohl-Arbeit“ in den Bereichen Soziales, Umwelt und Kultur müsse aber zuerst hoffähig gemacht werden. Dazu wiederum müssen die Grenzen zwischen erstem und zweitem Arbeitsmarkt zerfließen, wünscht sich der Ire Peter Finnegan. Das eine solle nicht länger als hochwertig und gut bezahlt gelten, während das andere als billige Ersatzbeschäftigung abgetan wird.

Doch am Anfang steht das Finanzierungsproblem. Aus eigenen Einnahmen, öffentlichen Mitteln und Spenden sollen sich die Kooperativen unterhalten, schlägt der Berliner Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler Karl Birkhölzer vor. Außerdem müsse es ehrenamtliche Arbeit sowie Entlohnung jenseits des Geldes geben. Udo Reifner, Leiter eines Instituts für Finanzdienstleistungen, setzt dagegen auf das in den USA immer poulärere „ethische Investment“. Statt das „grüne Band der Sympathie“ zu knüpfen, könnten etwa Banken ihr Firmenimage auf sozial motivierte Investitionen gründen, sagt der Hamburger.

Und damit liegt er schon fast auf der Linie des Ex-Schreiners Küstermann, der heute den Dachverband „Netz für Selbstverwaltung und Selbstorganisation“ vertritt und die Subventionierung des „ökosoziokulturellen Bereiches“ mit gemischten Gefühlen betrachtet. „Was die Betriebe brauchen, sind Startkapital und gute Ideen, nicht die ständige Abhängigkeit vom Staat“, ist seine Erfahrung. Silvia Schütt