Wieviele „Großbehälter“ braucht der ÖPNV?

■ Eine Gewerkschaftsstudie gegen den Strich gelesen: Die ÖTV ist gegen die Privatisierung und Flexibilisierung bei Bussen und Bahnen, aber die Bremer Straßenbahn AG hat hohe Personalkosten und nur große Fahrzeuge

Die Bremer ÖTV hat einige Monate gearbeitet und ein dickes Papier produziert: „Privatisierung?“ ist das Thema, das Fragezeichen das Entscheidende. Die ÖTV warnt vor den Folgen der Privatisierung für Beschäftigte und für das subventionierte ÖPNV-Angebot und möchte darüber mit den Fraktionen der Bürgerschaft reden.

Auf die Frage, was denn der akute Anlaß für die Beschäftigung mit dem Thema ist, läßt die Broschüre ihre LeserInnen einigermaßen ratlos zurück. Die Forderung nach Privatisierung sei „wieder lauter“ geworden, schreibt der Vorsitzende der Bezirksverwaltung, Holger Wohlleben, in seinem Vorwort. Und dem zuständigen Gewerkschaftssekretär Immo Schlepper fällt als Rechtfertigung für das Thema auch nur eine Bemerkung des Grünen-Abgeordneten Dieter Mützelburg ein: Der hatte vor einem Jahr die Kostenkontrolle durch die Zulassung Privater für einzelne Linien in's Spiel gebracht, als die steigende Tendenz der Zuschüsse für die Bremer Straßenbahn AG. Und Mützelburg sitzt immerhin im Aufsichtsrat der Straßenbahner. Aber eine ganze Broschüre wäre schon ein aufwendiges Verfahren als Antwort auf eine Bemerkung - einen aktuellen Anlaß kann auch Mützelburg nicht erkennen, im Haushalt 1994 sind 154 Millionen Zuschuß für die BSAG drin, im Haushalt 1995 sogar 190 Millionen (wegen der Finanzierung der neuen Wagen).

Der für die Verkehrspolitik zuständige Mann der SPD, Reinhard Barsuhn, schrieb so mit feinem ironischen Unterton, die SPD freue sich „über alle Beiträge und jede Unterstützung, die das Thema der Privatisierung im Öffentlichen Personen-Nachverkehr aufgreifen“.

Einen Anlaß für das Thema gäbe es: Nach der EG-Richtlinie 1893, die in der Bundesrepublik mit dem 1.1.1996 in Kraft tritt, muß der Öffentliche Personen-Nahverkehr sich privater Konkurrenz stellen. In diesem Sinne ist im Bundestag gerade auch das Personenbeförderungsgesetz geändert worden. Was das für den hochgradig defizitären Betrieb der Busse und Bahnen bedeuten könnte, das wissen allerdings selbst die VerkehrspolitikerInnen heute noch nicht. Möglicherweise wird eine kommunale „Obergesellschaft“ gebildet, die den Fahrplan festlegt und dann die einzelnen zu erbringenden Leistungen „ausschreiben“. Durchaus vorstellbar wäre dann, daß ein privater Bus-Anbieter mit einem guten Angebot den Zuschlag für eine bestimmte Linie oder bestimmte Uhrzeiten bekommt. Aber dies ist Zukunftsmusik, das Stichwort EG-Richtlinie ist in der ÖTV-Broschüre nicht einmal erwähnt.

Nicht erwähnt wird in der ÖTV-Broschüre auch die aktuelle Geschäftspolitik der BSAG. Die experinemtiert offenkundig schon mit dem Modell Privatisierung von Linien und „Kursen“: die Linie 63 zum Güterverkehrszentrum wird nicht von der BSAG, sondern inzwischen von der privaten Weser-Ems-Bus gefahren. Bei einer Fahrplanverdichtung habe man einfach nicht mehr das Personal und die Fahrzeuge dafür gehabt, gibt der Pressesprecher Lemmermann als Grund für die private Vergabe des Auftrages an ein Sub-Unternehmen an.

Die Weser-Ems-Bus hatte damit keine Probleme. „Für uns läuft die Linie kostendeckend“, sagt Geschäftsführer Tyborczyk. Wieviel die BSAG an den Fahrgästen der Linie verdient und wie groß der Subventions-Anteil ist, kann er dagegen nicht sagen: Die Weser-Ems-Bus hat den Auftrag, für ein bestimmtes Geld soundsoviele Male am Tag diese Route zu fahren. Das Risiko liegt nicht bei dem „Privaten“ sondern bei der BSAG bzw der öffentlichen Kasse.

Was der BSAG-Sprecher nicht sagen will: Diese Auftragsvergabe an private Bus-Unternehmen macht nur Sinn, wenn die „billiger“ fahren als es die BSAG selbst könnte. Da der Benzinpreis derselbe ist, kann der Kostenunterschied nur bei den Personalkosten liegen. Wer unter diesem Gesichtspunkt die ÖTV-Broschüre durchblättert, dem drängt sich der Eindruck af, daß die Gewerkschaft unausgesprochen die Geschäftspolitik der BSAG im Visier hatte, als sie für ihre Broschüre in Nürnberg, Stuttgart, Hannover und anderswo nachfragte, unter welchen Bedingungen dort bis zu 15 Prozent des ÖPNV an Private vergeben wird. Wird Dienstbekleidung gestellt, wie hoch liegt die Entlohnung des Fahrpersonals – das interessiert die Gewerkschaft. Und entsprechend sind die Forderungen: Eine „Anmietung“ der Dienste von privaten soll nur erfolgen, wenn die „nachweisbar vergleichbare Sozial-, Arbeitszeit- und Arbeitsbedingungen“ haben wie die BSAG. Zudem dürfe nur an Private vergeben werden, wenn der Betriebsrat der BSAG der Maßnahme zustimmt, auch die ÖTV-Vertrauensleute sollen einbezogen werden. Da aber ein Betriebsrat aus wohlverstandenem Eigeninteresse in keinem Fall der Auftragsvergabe an ein konkurrierendes Unternehmen zustimmen kann, ist diese „Bedingung“ eine wenig versteckte grundsätzliche Ablehnung. Und ganz offensichtlich vergibt die BSAG derzeit Unteraufträge, ohne daß diese Bedingungen der ÖTV erfüllt sind. Um das Geschäft für private Anbieter weniger interessant zu machen und den „Wettbewerbsnachteil“ für die öffentlichen Unternehmen abzubauen, will die ÖTV über Tarifverträge die Arbeitsbedingungen der dort Beschäftigten verbessern.

Die ÖTV hat versucht, selbst Vorschläge zur Kostensenkung zu machen, um das Defizit nicht unnötig anwachsen zu lassen und den Einsatz privater Anbieter mit geringeren Personalkosten zu vermeiden: Reduzierung der Typenvielfalt der Busse, „Reduzierung des Krankenstandes durch verbesserte Dienstpläne“, Ausdünnung der Linien 2/3 und 30/31.

Einer der Vorschläge ist die „Verkürzung der Nutzungsdauer der Fahrzeuge“, um die Reperaturkosten zu senken. Gar nicht angesprochen hat die ÖTV dagegen das Thema der Größe der Fahrzeuge. Die BSAG erprobt derzeit in ihrer 51-Prozent-Tocher Delbus GmbH in Delmenhorst ein „Rufbus“-System. Insbesondere in den Abendstunden sollen anstelle der großen leeren Busse kleinere Wagen fahren, die auf „Anruf“ zur Haltestelle kommen und die KundInnen deshalb schnell und individueller bedienen können. Vorstellbar wäre auch ein System von Sammeltaxen, wie es in anderen Ländern üblich ist, das die Fahrgäste zu den großen, schnellen ÖPNV-Linien bringt - oder eben direkt vor die Haustür, anstatt nur bis zur Haltestelle.

Für den grünen BSAG-Aufsichtsrat Dieter Mützelburg ist klar, daß sich die Straßenbahn AG nicht nur überlegen muß, sie sie sich privatem Wettbewerb stellen kann, wenn sie bezahlbar bleiben will. Der Grünen-Politiker will die BSAG auch zur Flexibilisierung der Wagengrößen drängen: „Die BSAG soll sich zur Verbesserung des ÖPNV nicht auf die Großbehälter stützen.“

Flexibillisierung nach dem Bedarf der NutzerInnen: Dieses Thema könnte für die ÖTV mindestens genauso brisant werden wie die private Konkurrenz nach den neuen EU-Richtlinien: Natürlicher Träger der kleineren „öffentliche Nahverkehre“ wäre das private Taxigewerbe, denn das verfügt über die entsprechenden Fahrzeuge. Für die BSAG blieben nur die Linien und Fahrzeiten, in denen die großen Busse und Bahnen einigermaßen ausgelastet sind.

K.W.