Entwelkte Mimosen

Dynamo Dresden – Eintracht Frankfurt 0:4 / Frankfurter fanden ideale Prügelknaben  ■ Aus Dresden Gerhard Pfeil

Am Samstag lief einer in Dresden über den Fußballplatz, der war frech wie Oskar. Der umkurvte seine Gegenspieler, als seien die nur albernes Beiwerk für einen Kürlauf, der köpfte den Ball ins Tor zum 1:0 (29. Minute) für seine Eintracht aus Frankfurt, als habe er das schon hundertmal gemacht. „Sensationell“, fand nachher Frankfurts in letzter Zeit leidgeprüfter Trainer Klaus Toppmöller den Auftritt seines Nesthäkchens und der leitende Angestellte Maurizio Gaudino meinte gar, „solche Leute brauchen wir“. Und als dann der 19jährige Matthias Becker nach dem 4:0 der Frankfurter bei Dynamo Dresden gefragt wurde, wie einer so naßforsch sein kann bei seinem ersten Bundesligaspiel, da sprach er: „Wenn man Fußball spielt, denkt man einfach an nichts mehr.“

Unbeschwerte Jugend. Nun ist es in Frankfurt aber leider ziemlich üblich, über allerlei zu sinnieren. Was insofern mäßig lustig ist, da die Denkanstrengungen meist in heftige Streitigkeiten münden. Vergangene Woche war es mal wieder soweit: Nach der Schmach im UEFA-Cup gegen Salzburg zum „Prügelkind der Nation“ (Süddeutsche Zeitung) erkoren, brach sich zuerst bei Manfred Binz der Zorn Bahn. Beleidigt jaulte die Main-Mimose, er wolle die Eintracht verlassen, weil er mit Umfeld und Trainer Klaus Toppmöller nicht könne. Ex post packte den Vorturner der Verdruß. Als Freiwild fühlt sich der bekennende Sozialdemokrat neuerdings ob seiner politischen Gesinnung und verkündete verbittert: „Ich habe hier keine Lobby mehr. Hier gibt es Leute, die sagen ganz offen, der ist ein schlechter Trainer, weil er eine rote Sau ist.“ Auch Uwe Bein, der dem Verein zum Saisonende den Rücken zukehren wird, verspürte Drang zur verbalen Attacke und wütete in Sport-Bild mit Zielrichtung Präsident Matthias Ohms: „Es gibt hier auch Leute, die etwas sagen, aber keinen blassen Schimmer haben.“

Frankfurt, Zankfurt – weiter so. Die Herrschaften, könnte man glauben, brauchen das hausinterne Tohuwabohu. Das ihnen freilich just im Moment der vereinsweiten Generalabrechnungen ein morbides Kickerensemble wie die Dynamo-Dresdner in die Schußbahn wankte, mutete schon fast so an, als habe man den Prügelknaben gebucht, um sich abzureagieren. Jojo spielten die Frankfurter mit den zweitligareifen Dresdnern vor 14.000 Zuschauern. Mirko Dickhaut organisierte ein undurchdringbares Verteidigungsgestrüpp, Jungspund Becker und Gaudino kreiselten im Mittelfeld die Kontrahenten schwindlig. Letzterer traf denn auch mittels Präzisionsschuß zum 2:0 (63.), zwei Minuten darauf düpierte – nanu – schon wieder Becker das Dresdner Abwehrgewirr, seinen Querpaß ließ Gaudino passieren, der besser postierte Yeboah – der ab sofort für drei Wochen absent sein wird, da er bei der Nationalmannschaft Ghanas beim Afrika-Cup in Tunesien weilen muß („Sonst schlägt mich meine Mutter“) – schob ein zum 3:0 (65.). Danach trat Becker ab, ausgepumpt vom ersten Arbeitstag („Ich hab mir gedacht, laß die anderen ran, damit ich nicht noch was anbrenne“), ehe Ralf Falkenmayer mit einem Freistoß zum 4:0 (87.) den Abschluß der Eintracht-Gala-Sause kredenzte.

Und so qualmt einstweilen die Friedenspfeife im Fußballand der Nörgler und Entnervten. Derweil in Dresden Rauchsignale aufsteigen, die nichts Gutes verheißen. Einen latenten Hang zum spielerischen Element gewärtigte Coach Siegfried Held und war darüber gar nicht froh. „Wir dürfen nicht die Geige rausholen“, sprach er, „im Abstiegskampf braucht man ganze Kerle.“ Kloppen statt Klein- Klein-Gekicke, „zurück zu den Wurzeln“, fordert Held.

Und in Frankfurt? Da werden sie wohl noch ein bißchen weiter Gift verspritzen, obschon erste Ansätze zur Besserung aufblitzen. „Ich allein habe das Sagen“, verkündete Toppmöller neugefundenes Selbstbewußtsein. „Der Binz ist so wertvoll“, tat Gaudino salbungsvoll kund, „daß er meiner Meinung nach nächste Woche wieder im Kader ist.“

Becker, derzeit noch Banklehrling, auch. Weil Thomas Doll die malade Achillessehne endgültig riß und er mithin in dieser Saison nicht mehr spielen wird, und Jan Furtok nicht eben Rühmliches zuwege brachte, wird der Frechdachs wohl weiterhin zur ersten Riege gehören. Und dann werden sie ihn auch nicht mehr vergessen und einfach mit dem Mannschaftsbus wegbrausen, während er sich noch beim Dopingtest müht.

Dresden: Tschertschessow; Schößler, Rath, Keller, Maucksch, Jähnig, Kmetsch, Stevic, Fuchs (46. Penksa), Pilz, Marschall, Ratke

Frankfurt: Stein; Zchadadse, Komljenovic, Bindewald, Dickhaut, Gaudino, Falkenmayer, Doll (10. Furtok), Yeboah, Reis, Becker (79. Wolf).

Tore: 0:1 Becker (29.), 0:2 Gaudino (63.), 0:3 Yeboah (65.), 0:4 Falkenmayer (87.) Zuschauer: 14.000