Die Gaskammer-Erbauer von Auschwitz

Die Erben der Erbauer der Gaskammern von Auschwitz wollten ihre Fabrik zurückhaben / Streit um Entschädigung dauert an / Topf & Söhne: Nach '45 Buchgeschenke in der DDR und ein Patent über Leichenverbrennung im Westen  ■ Von Peter Hillebrand

Heinrich Messing, Monteur der Erfurter Maschinenfabrik Topf & Söhne, arbeitete fünfzehn Stunden am Stück an der Lüftungsanlage des neuen Krematoriums in Auschwitz-Birkenau. Erst am späten Abend dieses 13. März 1943, einem Samstag bzw. Sabbat, erklärt er die Be- und Entlüftung des „Leichenkeller I“ genannten Kellerraums für betriebsbereit. Von nun an verfügt der Bauherr, die SS, über eine funktional ausgestattete Gaskammer. Die ebenfalls von Topf & Söhne gebauten Verbrennungsöfen im Erdgeschoß stehen schon seit einigen Tagen angeheizt zum Einsatz bereit. Kaum hat Heinrich Messing Feierabend gemacht, treffen 1.492 Juden aus dem nahe gelegenen Krakauer Ghetto ein, die sofort in die neue, 210 Quadratmeter große Gaskammer zum „Duschen“ geführt werden.

Am nächsten Tag, einem eigentlich arbeitsfreien Sonntag, kommt Messing zum Krematorium, um auch die Lüftung im zweiten Kellerraum fertigzustellen. Er muß an den Leichen vorbei, deren Einäscherung zwei Tage dauert. An diesem Sonntag arbeitet er acht Stunden. Was er zu sehen bekommt, beeindruckt ihn offensichtlich so sehr, daß er abends beim Ausfüllen seiner „Arbeitszeit-Bescheinigung“ zum ersten Mal die offizielle Sprachregelung aufgibt und die tatsächliche Funktion von „Leichenkeller II“ notiert: „Entlüftungsleitung für Auskleidekeller montiert“.

Der französische Auschwitzforscher Jean-Claude Pressac stieß als erster auf die im Museum Auschwitz aufbewahrten Arbeitszettel der Monteure. Auch in anderen Dokumenten fand er solch verräterische „Fehlleistungen“ der am Bau Beteiligten, die, mosaikartig zusammengesetzt, die von Zeugen berichtete Funktion der Krematorien als Todesfabriken bestätigten. Dabei hatte Pressac begonnen, die Akten der SS-Bauleitung in Auschwitz zu studieren, weil er die Existenz der Gaskammern bezweifelt hatte. In den Büchern des französischen Literaturprofessors Faurisson, der seinerzeit wegen Leugnung der Existenz der Gaskammern in Frankreich vor Gericht stand, hatte er angeblich schlüssige Antworten auf seine zweifelnden Fragen gefunden.

Faurissons Argumentation beruhte fast ausschließlich auf der Benennung von tatsächlichen und vermeintlichen Widersprüchen in den Aussagen der überlebenden Zeugen. Da seine Verteidigung in arge Beweisnot geriet, hatte Pressac ihm angeboten, nach objektiven Beweisen für seine Thesen zu forschen. Während seiner Recherchen überzeugte sich Pressac jedoch vom Gegenteil: Er konnte nun anhand technischer Unterlagen die Existenz und den Betrieb der Gaskammern bestätigen. Dieses Ergebnis legte er dann auch Faurisson vor, der aber weiter auf seiner alten Position beharrte. Pressacs Zweifel an der Existenz der Gaskammern hatten sich durch seine Entdeckungen erledigt. Er war zudem im Archiv von Auschwitz auf Dokumente gestoßen, die auf eine wissentliche Beteiligung von zivilen deutschen Unternehmen an der Vernichtung der Juden hinwiesen, ein für ihn ungeheuerlicher und bislang nicht erforschter Vorgang.

Pressac nahm Kontakt zu Serge Klarsfeld auf, der die Bedeutung der Dokumente erkannte und seine Recherchen von nun an unterstützte. Als sich durch das Ende des Kalten Krieges für Pressac die Türen zum bislang geheimen Sonderarchiv in Moskau öffneten, wo er noch fehlende Akten der SS- Bauleitung vermutete, wurde das Mosaik vervollständigt. In seinem in Kürze auch in deutsch erscheinenden Buch beschreibt er mit beklemmender, eiskalter Sachlichkeit die Arbeit der Monteure, Bauleiter und Ingenieure. Gerade die akribische Beschreibung von technischen Details, aufschlußreichen Planänderungen, Pfusch und Schlamperei, Korrespondenzen über unbezahlte Rechnungen, kurz allem, was zur Dokumentation eines x-beliebigen Bauprojekts gehört und nur Beteiligte interessieren kann, vermittelt die unfaßbare Skrupellosigkeit der Erbauer dieser Menschenvernichtungsanlage.

Das 1878 in Erfurt gegründete Unternehmen Topf & Söhne, das Brauereimaschinen, Wursttrocknungsanlagen, aber auch Einäscherungsöfen für Krematorien baute, zog im November 1939 den ersten KZ-Auftrag an Land: ein Verbrennungsofen für das KZ Dachau zum Preis von 8.759 Mark. Lukrative Aufträge für andere Lager folgten. Als die SS im Oktober 1941 begann, außerhalb des Stammlagers Auschwitz in Birkenau ein weiteres Lager für 125.000 Gefangene aufzubauen, war Kurt Prüfer, der Abteilungsleiter Krematoriumsbau von Topf & Söhne, schon in der Planungsphase dabei und unterbreitete der SS ein Angebot für ein Krematorium mit insgesamt 15 Verbrennungskammern. Diese Kapazität hätte theoretisch ausgereicht, sämtliche Gefangenen in drei bis vier Monaten einzuäschern.

Ab Mai 1942 fanden im Lager Auschwitz-Birkenau Vergasungen in zu Gaskammern umgebauten Bauernhäusern statt. Die Leichen wurden in Massengräbern verscharrt. Im Juli 1942 kam Heinrich Himmler auf Visite und schaute sich eine Vergasung und die Beseitigung der Leichen an. Kurz darauf beauftragte die SS-Bauleitung Topf & Söhne mit der Ausstattung von vier Krematorien mit der ungeheuren Kapazität von insgesamt 46 Brennkammern. Der Großauftrag umfaßte den Bau der Öfen, die Leichenaufzüge und die Be- und Entlüftung der Gebäude, einschließlich der „Leichenkeller“ genannten Gaskammern und Auskleideräume. Man war bemüht, alle Wünsche der SS zu erfüllen. So machte die SS am 26. Februar 1943 in einem Telegramm an die Erfurter Firma wegen der anstehenden Tests der Gaskammern noch einmal Druck: „Absendet sofort 10 Gasprüfer wie besprochen“. Kurt Prüfer teilte am 2. März mit, „dass wir die von Ihnen gewünschten Anzeigegeräte für Blausäure-Reste angefragt haben. Von 3 Firmen haben wir Absagen bekommen und von 2 weiteren steht eine Antwort noch aus“.

Zwei Tage später nahm er in Auschwitz an versuchsweisen Einäscherungen teil. „Nach den Ergebnissen dieser makabren Versuche“, berichtet Filip Müller, Überlebender eines Sonderkommandos, „sollten nur drei Leichen auf einmal in einem Ofen verbrannt werden, nach Möglichkeit die eines gutgenährten Mannes und einer mageren Frau oder umgekehrt mit derjenigen eines Kindes, weil man bei dieser Zusammenstellung sicher sein konnte, daß die Toten, wenn sie einmal Feuer gefangen hatten, selbständig weiterbrannten, ohne daß noch weiterer Koks benötigt wurde.“

Nach dem Krieg ein Auftrag für den Erfurter Friedhof

Als eine Aufforderung, sich mit der Beteiligung deutscher Unternehmen an der Vernichtung der Juden zu beschäftigen, sieht Pressac sein Werk. Dazu gibt es nach taz-Recherchen in Sachen Topf & Söhne auch allen Grund. US- Truppen sahen bei der Befreiung des KZ Buchenwald dort die von Topf & Söhne gebauten Verbrennungsöfen. Am 30. Mai 1945 verhafteten sie Kurt Prüfer an seinem Arbeitsplatz, allerdings, ohne die Firmenräume zu durchsuchen. Als der ältere der beiden Eigentümer, der ledige Ludwig Topf junior, davon erfuhr, brachte er sich in der folgenden Nacht um, nicht ohne vorher seinen Anteil am Villengrundstück der Familie Topf testamentarisch der Stadt Erfurt zu vermachen.

Sein Selbstmord stellte sich als übereilt heraus, als Kurt Prüfer zwei Wochen später wieder entlassen wurde, mit dem Auftrag in der Tasche, auf dem Erfurter Südfriedhof einen „Doppelmuffeneinäscherungsofen“ aufzustellen. Der zweite Eigentümer, Ernst-Wolfgang Topf, vernichtete zusammen mit Prüfer sämtliche Auschwitz- Akten und fuhr dann mit seiner Familie im Opel-Kapitän gen Westen, rechtzeitig bevor die Sowjets am 3. Juli 1945 in Thüringen die USA als Besatzungsmacht ablösten. In Auschwitz hatte die Rote Armee die Krematorien demontiert und gesprengt vorgefunden. Aber die Bauakten waren in ihre Hände gefallen. Im März 1946 wußten sie genug über die Rolle von Topf & Söhne und verhafteten die vier leitenden Topf-Leute Kurt Prüfer, Fritz Sander, Karl Schultze und Gustav Braun. Die 1993 im Spiegel abgedruckten Verhörprotokolle des KGB aus dem Jahr 1946 bestätigen Pressacs Erkenntnis, daß sie genau wußten, was sie taten.

Von den vier überlebten die sowjetischen Lager nur Karl Schultze und Gustav Braun, die beide 1955 in Folge des Moskaubesuchs von Adenauer freigelassen wurden. Gustav Braun ging zu seiner Familie nach Erfurt, weigerte sich aber, über seine Erlebnisse zu sprechen. Schon nach einer Woche fuhr er weiter nach Heilbronn, wo er 1958 starb. Von Karl Schultze gibt es seit seiner Entlassung keine Spur. Obwohl bis zu ihrer Verhaftung 1944 sogar eine Widerstandsgruppe der KPD bei Topf & Söhne aktiv war, finden sich kaum Unterlagen, die auf eine spätere Aufklärung der Auschwitzgeschäfte von Topf & Söhne durch DDR-Behörden hinweisen. Weder von den Monteuren noch den zahlreichen Mitwissern sind Erinnerungsberichte erhalten geblieben. Der in das Auschwitzgeschäft eingeweihte Prokurist Paul Erdmann wurde Mitglied des FDGB und entging einer Verhaftung durch die Sowjets, obwohl er seine Personalakte nicht gesäubert hatte. Die Geschäftsleitung der volkseigenen Topf-Werke überreichte ihm und dem Auschwitz-Monteur Martin Holick 1948 als Dank und Anerkennung für 50jährige Betriebstreue zwei Buchgeschenke: „Vom Goldenen Humor“ und „Deutsches Lachen“. Der Rat der Stadt Erfurt gratulierte ebenfalls. Aber Ende 1950 wurde Erdmann plötzlich verhaftet. Nach drei Monaten in deutscher Untersuchungshaft wird er wieder freigelassen und das Verfahren eingestellt. Mit der Enteignung des Unternehmens durch die sowjetischen Besatzer schien das Kapitel Topf & Söhne für die DDR abgeschlossen zu sein.

Im sicheren Westen kontaktierte Ernst-Wolfgang Topf 1947 die Industrie- und Handelskammer in Wiesbaden, stellte sich als grundlos von den Sowjets enteigneter Fabrikant von Maschinen der Lebensmittelindustrie vor und erhielt eine entsprechende Gewerbeerlaubnis für ein Ingenieurbüro. Bereits 1950 meldete seine Firma wieder ein Patent an: „Verfahren und Vorrichtung zur Verbrennung von Leichen, Kadavern und Teilen davon“. Der Wechsel des Firmensitzes von „J.A. Topf & Söhne“ wurde 1951 mit der Eintragung ins Wiesbadener Handelsregister offiziell.

Verfahren verliefen im Sande, Akten unauffindbar

Obwohl das Unternehmen in NS- Verfahren als Hersteller der Verbrennungsöfen immer wieder genannt wurde, kam es nie zu einem Prozeß. Das 1950 gegen Ernst- Wolfgang Topf eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen Mordes wurde kurz darauf wieder eingestellt. Auch später eingeleitete Verfahren verliefen im Sande. Es blieben nur Aktenzeichen, die Akten sind bis heute verschwunden. Als Zeuge in einem anderen Verfahren gab Ernst-Wolfgang Topf 1960 zu Protokoll: „Was in diesen Öfen verbrannt werden kann, ist vorher schon tot. Für den Tod der in den von uns erstellten Öfen später verbrannten Leichen, kann man doch nicht die Erbauer verantwortlich machen.“ Im Alter von 59 Jahren löste Ernst-Wolfgang Topf 1963 seine Firma auf.

Nach der deutschen Wiedervereinigung meldeten sich die in USA, Afrika und Deutschland lebenden Erben und beantragten die Rückübertragung des Unternehmens. Die Sprecherin der Erben, die Therapeutin Dagmar Topf (50), hat trotz des Geschäfts mit dem Bau der Gaskammern von Auschwitz kein moralisches Problem. Sie hätten mit der beantragten Rückübertragung nicht „merkantile Interessen“ verfolgt, sondern wollten Arbeitsplätze des maroden, seinerzeit noch von der Treuhand verwalteten Betriebs sichern und den Betrieb vor dem Verkauf an Grundstücksspekulanten bewahren. Ihnen schwebte vor, die Grundstücke zu übernehmen und den Betrieb den Mitarbeitern für eine Art Selbstverwaltung zu überlassen, ganz in der Tradition des alten Topf, zu dessen Zeit ein schon fast sozialistisches Zusammengehörigkeitsgefühl geherrscht habe. Weil die Besatzungsmacht den Betrieb vor 1949 enteignet hatte, wurde die Rückübertragung an die Erben abgelehnt. Das Betriebsgelände gehört mittlerweile einem westdeutschen Investor, der von den ursprünglich 1.200 Arbeitsplätzen ganze 60 behielt.

Jetzt steht noch eine Entscheidung des Amtes für offene Vermögensfragen der Stadt Erfurt über die Rückübertragung des privaten Villengrundstücks (Wert: ca. vier Millionen Mark) aus. In diesem Fall befindet sich durch das Testament des Selbstmörders Ludwig Topf kurioserweise auch die Stadt Erfurt auf seiten der Topf-Erben. Sollte auch das Villengrundstück nicht an die Erben zurückgegeben werden, kann sich der westdeutsche Investor als lachender Dritter freuen, dem das Villengrundstück als „betriebsnotwendiges Gelände“ von der Treuhand übertragen wurde.

Den Erben bliebe dann nur noch, auf eine Entschädigung durch das von der Bundesregierung für diese Enteignungsfälle geplante Entschädigungsgesetz zu hoffen. Ob sie diese erhalten, wird von der Interpretation einer Klausel abhängen, in der es heißt, daß keine Entschädigung geleistet wird, wenn „das enteignete Unternehmen gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen“ hat.

Jean-Claude Pressac: „Die Krematorien von Auschwitz“, ca. 240 Seiten mit vielen Abbildungen, Piper-Verlag, 38 DM, erscheint Ende April