■ Bosnien-Herzegowina gibt sich eine neue Verfassung
: Die Rückkehr der Politik

Seit in Bosnien-Herzegowina die ursprünglich im Kampf gegen den serbischen Aggressor verbündeten Kroaten und muslimischen Bosnier in kriegerische Auseinandersetzungen hineingeschlittert sind, verfestigte sich der Eindruck, für die Probleme des jungen Staates gebe es keine politische Lösung. Freilich wurde die These von der angeblich prinzipiellen Unlösbarkeit der bosnischen Frage auf einer konstitutionell-demokratischen Basis, die den Bestand der Republik sichert, schon viel früher in Belgrad vertreten und die Teilung nach ethnischen Gesichtspunkten als einzige Lösung gepriesen – eine Lösung, deren Ausführung in brutalstem Krieg und dreister Okkupation immer weiterer Gebiete liegt. Dann konnte man plötzlich auch in Zagreb hören, daß Bosnien-Herzegowina ein künstliches Gebilde sei.

Anstatt nach politisch-konstitutionellen Regelungen für ein Gebiet mit tausendjähriger gemeinsamer Geschichte und Tradition zu suchen, durch die es mit all seinen Besonderheiten in die europäisch- bürgerliche Staatenwelt integriert werden könnte, fing man an, für die kroatische Frage ethnisch-territoriale Lösungen vorzuschlagen und von der muslimischen Gefahr zu schwafeln. Die Idée fixe der herzegowinischen Kroaten, daß ihr Gebiet an Kroatien angeschlossen sein müsse, gewann in Tudjmans Umgebung die Oberhand.

Wer aber, im Unterschied zu diesem ethnisch-partikularistischen Standpunkt, an der prinzipiellen politischen und verfassungsmäßigen Lösung der bosnischen Problematik festhielt, wird sich durch die unter der amerikanischen Schirmherrschaft verabschiedeten föderalen Verfassung bestätigt fühlen. Das ist kroatischerseits erwiesenermaßen die Mehrheit: die gesamte Opposition in Kroatien, die bosnischen Kroaten – im Unterschied zu den herzegowinischen –, die katholische Kirche, zahlreiche unabhängige Intellektuelle aus dem bosnisch-kroatischen Raum und eine starke Fraktion in der Regierungspartei.

Trotz mangelnder politischer Transparenz der bosnisch-muslimischen Politik darf man vermuten, daß die Mehrheit der Bevölkerung die kroatisch-muslimische Einigung befürwortet. Denn daran, daß eine Verfassung möglich ist, die die nationale Gleichberechtigung der staatstragenden Völker sichert und gleichzeitig die staatspolitische Einheit der Republik bewahrt, hat auch die Bevölkerung Bosnien-Herzegowinas geglaubt, als sie sich bei der Volksbefragung vor zwei Jahren mehrheitlich (63 Prozent) für die Unabhängigkeit entschieden hat. Die serbische Bevölkerung hat sich mehrheitlich an dieser Volksbefragung nicht beteiligt und damit der Möglichkeit eines souveränen bosnischen Staates eine Absage erteilt.

Die jetzige föderale Verfassung ist dennoch der moderne staatsrechtliche Nachtrag zum demokratisch geäußerten Willen der bosnisch-herzegowinischen Mehrheitsbevölkerung. Sie findet die konstitutionelle Kompromißformel für das innere Prinzip dieses Staates, das nämlich nicht in irgendeiner undefinierbaren Multikulturalität besteht, sondern in der Doppelidentität der staatsbürgerlichen und nationalen Souveränität. Es handelt sich also um konstitutionelle Erneuerung auf der Basis der bürgerlichen Grundrechte und der Verankerung der verfassungsmäßig schon früher garantierten nationalen Souveränitätsrechte, womit die Kontinuität der legitimen bosnischen Staatlichkeit bestätigt wird.

Die staatliche Kontinuität wird auch in der Präambel der Verfassung bestätigt, wobei für die von bosnischen Serben usurpierten und okkupierten Gebiete die konstitutionellen Zusatzregelungen (amendments) vorgesehen werden, sollten sie sich einmal der Föderation anschließen wollen. Die Kompromißformel der Vereinbarkeit der nationalen mit der staatsbürgerlichen Souveränität ist prinzipiell für die Serben offen. Doch diese werden sich schon deshalb heraushalten, weil sie sonst eine Rechtsordnung anerkennen müßten, die alle Unrechts- und Gewaltakte des Krieges soweit wie möglich rückgängig macht. Außerdem würde das die Anerkennung der Souveränität des bosnischen Staates bedeuten und entsprechende Konsequenzen für die okkupierten Gebiete in Kroatien haben.

Die föderale, d.h. kantonale Neuordnung ist – zumindest auf dem Papier – eine ideale Lösung des Nationalitätenproblems: sie sieht weitreichende Befugnisse der kantonalen Regierungen vor, die in jenen Fällen, in denen die nationale Mehrheit einer Gemeinde anders als die des Kantons ist, auf die Gemeinde übertragen werden. Das Prinzip der nationalen Gleichberechtigung verwirklicht sich gesetzgeberisch in der zweiten Kammer des Parlaments, während die erste Kammer nach dem einfachen demokratischen Prinzip, ungeachtet der nationalen Zugehörigkeit, gemäß dem Verhältniswahlrecht gewählt wird. Dennoch können die kroatischen und die bosnisch-muslimischen Nationalisten diese Kompromißlösung nur zähneknirschend hinnehmen: die einen deshalb, weil das nationale Prinzip dem demokratischen unterstellt wird, und die andern, weil die nationale Gleichberechtigung verfassungsmäßig und institutionell verankert wird, während sie mit einem vormodernen Begriff der bosnischen Bevölkerung operieren, die sich bloß nach der religiösen Zugehörigkeit unterscheide.

Aber keine noch so gerechte Lösung des bosnischen Problems, die auf der Basis der staatlichen Selbständigkeit erfolgt, kann für das Projekt der Vereinigung aller Serben hinnehmbar sein. Daraus ergibt sich, daß eine politische Lösung in bezug auf das ganze Bosnien-Herzegowina im Moment nur eine halbe Lösung sein kann. Das kann man natürlich Zwei- statt Dreiteilung nennen. Eine politische Lösung für das ganze Bosnien-Herzegowina wäre erst nach einem militärischen Sieg über das serbische Regime und seine Ableger möglich. Da aber niemand bereit ist, die illegitime Herrschaft im okkupierten Teil Bosnien-Herzegowinas mit kriegerischen Mitteln zu beenden, bleibt nur so etwas wie „kalter Krieg“ übrig, der die Republik teilt. Wie die Serben damit klarkommen, ist noch ungewiß.

Aber in Sarajevo und Zagreb geht jetzt schon die große Angst vor einer schrittweisen Erneuerung von Jugoslawien um. Man befürchtet nachteilige Konsequenzen aus der vorgesehenen bosnisch-kroatischen Konföderation, die vielleicht als Präzedenzfall zum Grundstein einer exjugoslawischen Gesamtlösung instrumentalisiert werden könnte. Die unglaublich dreisten russischen außenpolitischen Aktivitäten und Anmaßungen, an der Lösung des exjugoslawischen Konflikts beteiligt zu sein, liefern diesen Befürchtungen zusätzliche Nahrung. Allein, einen Staatenbund kann es nur geben, wenn die politischen Systeme dieser Staaten gleich oder kompatibel sind. Je konsequenter die beiden Republiken ihre politischen Ziele – Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Marktwirtschaft – verfolgen, desto kleiner wird die Gefahr, sie zu einer Gesamtlösung, die den serbischen Nationalkommunismus einschließen würde, zu nötigen. Dunja Melćić

Publizistin, lebt in Frankfurt/M.