„Wir wollen den Schiet nicht hören“

■ Im Info-Zelt des Bundestags wurde reichlich Dampf abgelassen Von Martina Parge

Wer heute auf dem Rathausmarkt flaniert, könnte - zumindest akustisch - dem Irrtum verfallen, er sei auf dem Frühjahrsdom: „Machen Sie mit. Kommen Sie herein. Besuchen Sie unser Bundestags-Infozelt“ tönt eine mikrophonverstärkte Stimme über den Platz.

Für zwei Tage haben die ÖffentlichkeitsarbeiterInnen des Bundestags die „Werkstatt der Demokratie“ - ein weißes Zelt mit riesigem Rita-Süssmut-Zitat an der Wand und Plastiktischchen in der Mitte - vor dem Rathaus aufgebaut. Darin stehen sie und warten auf ihre Kundschaft - das Volk. Dem wollen sie erzählen, wie der Bundestag funktioniert, oder warum der Plenarsaal bei öffentlichen Sitzungen immer so leer ist und überhaupt: Sie wollen „den direkten Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern führen“.

An dem sind, so scheint es, hauptsächlich Renter und Rentnerinnen interessiert. Die Schulklasse, die sich angemeldet hatte, ist nicht erschienen. Herr Tietze und Herr Dur antworten geduldig-freundlich im Dienste der Demokratie. Um halb zwei kommt eine Bundestagsabgeordnete: Frau Rahardt-Vahldieck von der CDU stellt sich, das Zelt füllt sich. Daß es sich hier um eine Veranstaltung zur Institution Bundestag handelt, ist schnell vergessen. Lieber nutzt man und frau die Gelegenheit, den Herren und Damen Politikern mal zu zeigen, was man von ihnen hält!

Ein Herr mit Aktentasche darf den Anfang machen: „Ich hab da mal eine Frage! Der hohe Solidarbeitrag, warum wird der nicht bei den Diäten abgezogen, damit die Herren da oben auch mal wissen, wie das ist.“ Nein, da hilft kein: „Ich versteuere meine Diäten und zahle somit auch den Solidarbeitrag“ von Frau Rahardt-Vahldieck und auch nicht die Korrektur seiner Vorstellung von den Abgeordnetengehältern um 15.000 Mark nach unten, der Aktentaschenträger bleibt dabei: Politiker sind alle Betrüger. Und zieht ab. Der Volkszorn dampft derweil weiter: Die Geschäftszeiten! Die Hafenstraße (die dürfen - und wir?)! Die Lobbyisten!

Dialog gescheitert? Ein Obdachloser ruft wiederholt: „Wir wollen den Scheiß nicht hören.“ Herr Mühlkamp würde sich mehr Möglichkeiten wünschen, seine feinsäuberlich notierten Fragen loszuwerden. Herr Peters meint: „Ich habe jetzt eine ganze Weile zugehört, muß aber gestehen, daß ich das schon wieder vergessen habe.“ Die Frauen schweigen. O-Ton „Werkstatt der Demokratie: „Der deutsche Bundestag stellt sich als eine lebendige Demokratie dar, in der gegenseitiges Voneinander-Lernen stattfindet und Vertrauen wachsen kann.“

Wer das Spektakel heute (11 bis 15 Uhr) verpaßt, kann den Besuch in einer der 60 deutschen Städte nachholen, die die „Info-Zelttour“ noch bereisen wird.