Comics, Schwizerörgeli und mehr

Die Zürcher Band The Jellyfish Kiss – nicht kunstvoll, sondern lustvoll  ■ Von Anna-Bianca Krause

Das Leben ist ein Jammertal, das Grausen wohnt hinter biederen Stores, und der Tod naht mit einem vertrauten Lächeln. Der Mensch hängt im Tag herum, lungernde Hunde an den Fersen und mißlaunige Cops im Nacken, und verzweifelt an den Erinnerungen, die eine liegengebliebene grüne Haarbürste herruft. So jedenfalls stellt sich die Realität in den Comic-Geschichten und Texten des Autoren-Zeichner-Teams Andrea Caprez/Christoph Schuler dar. Ihre Ideen, auf Papier eher holzschnittartige, schaurige Momentaufnahmen, werden in den Songs der Band Jellyfish Kiss zu melancholischen Serenaden voller Schalk und Schwung.

Schuler bleibt als Texter auf der Bühne absent, Caprez hingegen gibt den trist-temperamentvollen Troubadour. Der dünne, dunkelhaarige Sänger und Gitarrist erinnert zwar stimmlich heftig an sein Vorbild Bob Dylan, doch sein süßer Schweizer Schmelz und die dazugehörige Musik brechen dieses Bild permanent. Walzer, Tango, Musette, Gassenhauer, Folk, Rock, Country, Gypsiemusik und was weiß ich noch alles haben die fünf MusikerInnen von Jellyfish Kiss zusammengewürfelt und um die burlesken Alltagsgeschichten gerankt. Wehmütig hafenmäßig leitet ein Akkordeon zu der Geschichte von Limbo Joe, dem alles querläuft, auch seine Kugeln. Und die Story von Adrian, dem Ameisendarsteller, der sich jeden Abend die Mundwerkzeuge umschnallt, bevor er auf die Bühne geht, wirkt wie ein Kurzfilm im Schnelldurchlauf, ein weiches, aber äußerst temporeiches Schlagzeug beschleunigt die Handlung.

Die Tristesse der Texte wird konterkariert von der an Vaudeville erinnernden Darbietung und der Tanzlaune, die die Musik ausstrahlt. Valentin Kessler spielt sein Schwizerörgeli – ein in der Schweiz gebräuchliches Knopfakkordeon – ebenso virtuos wie sein „normales“ Akkordeon. Auf der Bühne scheint er mit seinem Instrument nahezu eins zu werden und entlockt ihm pfeilschnelle Akzente, schnulzige Melodien oder schottische Tupfer. Balladen-Dance oder Bar-Folk-Rock könnte die Musik der Zürcher Zugvögel, die Wert auf eine gelungene Bühnenchoreographie legen, genannt werden. Über eine reine Vertonung der auch als Comic vorliegenden Geschichten geht das Spektakel jedenfalls weit hinaus.

Daß das Konzept der Band, die Gefühle, Witz und Überschnulzen anbietet, allerdings nur aufgehen kann, wenn das Publikum so richtig einsteigt, kann nachgeprüft werden: Wälzen sich irgendwann alle MusikerInnen am Boden und spielen dort weiter, dann ist der Funke übergesprungen.

Heute abend, 22 Uhr, im Café Zapata im Tacheles, Oranienburger Straße 53–56, Mitte.