■ Deutschland in den Grenzen der Schmähkritik
: Lebensneid und Leberwurst

Noch steht nicht endgültig fest, ob die taz den Feldwebel und Goldrodler Schorsch Hackl ohne Zahlung größerer Summen einen „dumpfen Dummbeutel“ nennen darf, weil er auf Sat.1 höchst primitiv Werbung für die Bundeswehr, seinen Sponsor, machte. Einer, dem „das Resthirn in die Kufen gerutscht ist“, ein „Frühdebiler“, eine „rasende Weißwurst“. Auf jeden Fall ist Hackl eine beleidigte Leberwurst, sonst wären ja keine Gerichtsverfahren mehr anhängig.

Bislang wußte man hierzulande nicht allzuviel über die Herstellung beleidigter Leberwürste – außer vielleicht, daß dies keine ganz billige Sache ist: je nach Rezeptur zwischen 4.000 und 40.000 Mark.

Nun gibt das Satiremagazin Titanic (Fälle Engholm, Künnecke, Höhler, Böll usw.) in seiner neuen Ausgabe der hierzulande noch kleinen Gemeinde der Verunglimpfer erstmals empirisches Material an die Hand. Eine Titanic-Fragebogenaktion („Wer wird Leberwurst '94“) ermittelte bei tausend Politikern, Schauspielern, Schriftstellern, Musikern und Journalisten die Formen liebster und unliebsamster Beleidigungen und mögliche Reaktionen auf „Schmähkritik“ (Fachbegriff).

Das entsetzliche Ergebnis der Multiple-choice-Befragung von Achternbusch bis Zwerenz: fast alle wollen unbedingt und am liebsten zuerst herabgewürdigt werden. Schlimmer noch: Mit ihren Antworten beleidigt sich die Mehrheit der Promis perfiderweise selbst – was bleibt da noch zu tun für nachwachsende Menschenverachter, wenn potentielle Rufmordopfer sich auf das schleimigste bei den Satirikern anbiedern? Wenn Personen des sogenannten öffentlichen Lebens sich – weil sie so froh sind, dazuzugehören – als überlebensgroßzügig verstellen, modern und tolerant tun (am heftigsten die Polit-Hinterbänkler)? Der Bundestagsabgeordnete Hartmut Büttner (CDU/CSU) etwa sagt ganz offen ja zur Beleidigung: „Sonst ist man wohl nicht richtig bedeutend.“ Aber: „Bitte geschmackvoll“ und nicht „unmenschlich“.

Neben dem kreuzbraven Ausfüllen (Jo Leinen, Michael Jürgs, Wolfgang Joop, Ulrich Wickert, Harald Schmidt) oder der Antwort mit langatmigen, oberlehrerhaften Briefen (Wolfgang Thierse, Klaus Bölling, Werner Schulz vom Bündnis 90) besticht besonders die echt empörte und weinerliche Verweigerung der Autoren Luise Rinser, Peter Härtling, Friedrich Schorlemmer und Walter Kempowski. „Bitte laßt mich aus, Freunde“, bettelt der Mann mit dem Echolot, und Rinser stellt der Titanic folgende Diagnose: „Du bist aggressiv. Warum? Wozu? Frag Dich mal, ob Dich nicht Neid (Lebensneid) treibt?“

Die ungefragte Zusendung von selbsterdachten Aphorismen hingegen geht auf das Konto von MdB Ernst Waltemathe, SPD. Noch kreativer: die verdrucksten Versuche, den Witz der Frankfurter Schule zu umzingeln. So würde Jens Reich gerne die Titanic- Redaktion „auf Tagelohn umsetzen und diese Einkünfte jeweils morgens um 5.37 Uhr gegen persönliche Unterschrift auszahlen (der endgültige Sadismus!)“.

Geradezu bestialisch intelligent kommen dagegen die Anwortbriefe von Manfred Krug und Autorin Elfriede Hammerl daher. Krug: „Ich bin völlig humorlos und habe Ihre Zeitung nur deshalb abonniert, weil ich sie von der ersten Nummer an habe, und ich möchte sie bis zu ihrem Tod komplett haben. Spekulativ gedacht, für die Kinder.“ Hammerl: „Ich äußere mich in, zu, für und gegen Zeitschriften nur gegen Honorare, die sie sich hoffentlich nicht leisten können. Daher habe ich diesen Brief auch gar nicht selbst geschrieben.“ Hans-Hermann Kotte