: Renate Schmidt ohne Kleiderfrage
Wahlkampf in Bayern: Die „rote Renate“ rast im roten BMW von Termin zu Termin / Männer sehen alt aus ■ Von Heide Platen
Der Chefredakteur hat gedrängelt: „Mach das Portrait von Renate Schmidt fertig, ehe es die anderen machen!“ Von wegen. Die „anderen“ haben es schon gemacht. Das Archiv hat sie dutzendweise ausgespuckt, die Berichte, Features, Reportagen mit und über die Bundestagsvizepräsidentin und bayerische SPD-Spitzenkandidatin, die Ministerpräsidentin werden will. Die Kleiderfrage ist erschöpfend abgehandelt vom kleinen Schwarzen mit Pelzbesatz bis zum engen Roten und dem Dirndl mit Dekolleté. Die Lebensgeschichte ist erzählt: Renate Schmidt, 1943 geboren, Flüchtlingskind, Eltern verarmtes Bürgertum, ertrotzte den Besuch des Gymnasiums, wurde 1961 schwanger, „in Schande gefallen“ und Rausschmiß aus der Schule, Jugendehe mit dem Tanzstundenfreund, drei Kinder, zwei Enkel, Selfmade-Frau, die sich zur Programmiererin und Systemanalytikerin hocharbeitete, Betriebsrätin, Bürgerinitiative, Bundestag. Das alles ist so offen wie ein Buch, und das ist, zugegeben, allein schon exotisch in der Politik.
Renate Schmidt grummelt, daß sie das allmählich leid sei. Sie möchte eigentlich erst wieder nach ihrem Schneider gefragt werden, wenn Konkurrent Stoiber ähnlich durchgehechelt wird. Aber andererseits hält sie mit ihrer Lebensgeschichte nicht hinter dem Berg. Und das gibt bei dieser Frau ja auch eine Menge her. Wer will schon wissen, wann, wo und wie Helmut Kohl seine Marianne kennenlernte. Und wer wird schon, gleich welcher parteipolitischen Couleur, von Edmund Stoiber das sagen können, was ein CSU-Mann der Kandidatin fast schon respektvoll verquer zuerkannte: „Na, a Holz hoat's ja vor d'r Hütten.“
Renate Schmidt ist in den zahlreichen Publikationen über sie als „Phänomen“, „Frau aus der Wundertüte“, selbstbewußt, größenwahnsinnig, unerträglich umtriebig, charismatisch, erotisch, sinnlich und vieles andere mehr charakterisiert worden. Der Spiegel gerät 1992 ins Schwärmen und beschreibt sie als eine, die „zu lachen vermag. Saftig und sinnenfroh. Keine schmallippige Griesgrämigkeit, keine emotionale Dürre, kein staubiger Stallgeruch“. Überhaupt wimmelt es in Berichten über sie nur so von goldigen Löckchen, braunen Augen, rosigen Wangen, Herzenswärme und Volkesnähe.
Der Augenschein ist wirklichkeitsnäher als das Fernsehbild, die Löckchen sind ergraut, die Figur nicht so bemerkenswert üppig, das sympathische Gesicht weist neben den Lachfältchen auch eine kleine Falte neben der Nase auf – kein Wunder bei den von ihr stolz zusammengezählten mindestens 16 Stunden Arbeit täglich. Das Nickerchen, das sie gerne im Auto zwischen zwei Reisezielen hält, ist authentisch. Die gelobte drastische Direktheit der Renate Schmidt platzt eigentlich eher selten aus ihr heraus. Die meiste Zeit scheint sie sich eher zu disziplinieren, um nicht in allenthalben bereitstehende Fettnäpfe zu treten. Das macht die Politikerin aus. In Bayern darf sie öffentlich hin und wieder „Scheiße“ sagen, ohne daß jemand in Ohnmacht fällt. Spannender sind die ironischen, spitzen Bemerkungen, die ihr so nebenbei herausrutschen.
Daß ihr Mann 1974 Hausmann wurde, war und ist auch für die eigenen Parteigenossen gewöhnungsbedürftig. Sie sei, erinnert sich Schmidt, als kalte „Karrierefrau“ kritisiert worden. Daß immer wieder, oft von männlichen Autoren und fast wie eine Beschwörungsformel, betont wird, sie sei „keine Intellektuelle“, stört sie nicht. Ganz nachdenklich stellt sie statt dessen fest: „Das Image hat mir in der SPD eigentlich genützt.“ Außerdem wolle sie gar keine Gesellschaftsentwürfe machen „wie Glotz und Strasser“: „Ich kann gut organisieren. Und eine Rollenteilung muß es ja geben.“ Sie könne eben das, was die Vordenker ausbrüten, „auf den Punkt bringen. Man kann ja nicht alles können.“ Kokettiert sie oder nicht?
In der Gaststätte im Nürnberger SPD-Haus an der Karl-Bröger- Straße hinter dem Hauptbahnhof macht sie die Probe aufs Exempel. Die Fan-Clubs des 1. FC Nürnberg sind gekommen, um über Gewalt und Rassismus in den Fußballstadien zu diskutieren. Der einzige anwesende Anhänger einer sich zu Prügeleien als „Spaß“, „Sport“ und „Hobby“ bekennenden Gruppe muß sich die geballte Moral gefallen lassen. Linksaußen-Spieler Alain Sutter ermahnt die Fans: „Unsere Welt sieht schlecht genug aus.“ Ein schwarzer Kicker aus der Region erweist sich als wenig ergiebig, um Diskriminierung von Schwarzen auf dem Rasen gründlich zu geißeln. Renate Schmidt versucht sich in Verständnis: „Warum tut ihr das? Ich begreife das immer noch nicht. In dieser Gesellschaft gibt es viel zuviel Gewalt.“ Und: „Es ist wichtig, mit Menschen gut umzugehen.“
Der Beifall ist mäßig. Solche Sätze haben ihr den Ruf der Moraltante und „Nervensäge“ eingebracht. Das Nürnberger Stadtmagazin Plärrer wird ihr in der Aprilausgabe, neben anderen, Qualitäten wie der „dauersturzbetroffenen“ Mutter Beimer zuschreiben. Was die Frau während der Fan- Diskussion alles nebenbei macht, merkt wieder mal kein Mann. Sie sortiert die Verteilung der versagenden Mikrophone, lenkt die Diskussionsleitung, greift ein, wenn die männlichen Gewaltphantasien beim Gedanken an die gegnerischen „Bayern-Schweine“ aus München wild ins Kraut schießen. Daß ihre Appelle etwas betulich klingen, spielt da gar keine Rolle. Sie glättet Wogen, statt Öl ins Feuer zu gießen.
Die Nürnberger Heimspiele sind für die Politikerin allerdings die schwersten. Schmidt, aus dem Stand und gegen den Wendekanzler Helmut Schmidt von den hiesigen Parteilinken nach Bonn gewählt, war nicht mehr „unsere rode Renade“, als sie sich 1992, ganz auf der offiziellen Parteilinie der „Petersberger Beschlüsse“, vehement für Asylkompromiß und Blauhelm-Einsatz der Bundeswehr einsetzte. Noch 1991 hatte sie auf dem Parteitag, ebenso vehement, dagegen plädiert. Das sei, sagt sie, leichten Ärger im Unterton, eine ihrer „schwersten Entscheidungen gewesen“. Auch Freunde hätten das nicht richtig verstanden. Die bayerischen Delegierten jedenfalls stimmten seinerzeit mit 60 Prozent gegen sie.
Daß sie sich in den eigenen Reihen auch schon vorher aus weniger inhaltlichen Gründen unbeliebt gemacht hat, steht zu vermuten. Ihre Kandidatur zur Vorsitzenden der maroden Landespartei hatte sie 1991 an harte Bedingungen geknüpft, eine Reform verlangt und auch bekommen. Die Territorien der „Bezirksfürsten“ der Partei wurden zugunsten der Kasse der bis dahin wenig einflußreichen Landespartei aufgelöst.
Das Charisma der Renate Schmidt liegt vor allem in ihrer Stimme. Das erweist sich am nächsten Tag in Plattling, einer kleinen Industriestadt zwischen Regensburg und Passau. Die Programmwerkstatt der SPD hat Seniorenbeiräte, Wohlfahrtsverbände, Pflegepersonal zur Diskussion eingeladen. Schmidt redet fast eine Stunde lang, blickt selten auf ihre Notizen. Ihre Rhetorik, hoch, tief, laut, leise, ist ein Wechselbad und reißt mit – egal, was sie sagt. Daneben wirken die örtlichen Parteifunktionäre aus Landtag und Kreis unweigerlich hölzern und unpersönlich. Sie erzählt, ebenso wie in Nürnberg, Geschichten aus ihrem Leben, davon, daß sie sich seit dem Tod ihres Mannes 1984 Gedanken über ihr eigenes Älterwerden macht, davon, daß sie sich um die kranke Schwiegermutter sorgt, davon, daß sie die Angst ihrer Mutter versteht, die im Alter nicht von ihren Kindern abhängig sein möchte, selbst wenn sie Renate Schmidt heißen und gut verdienen. Sie wird ganz sanft und nachdenklich, wenn sie über das Sterben in Würde im Alter reflektiert. Und dann heizt sie wieder ein, geißelt Ungerechtigkeit, Einsamkeit und Armut im Alter. Gerold Tandler ist an diesem Tag zurückgetreten. Renate Schmidt erwähnt das mit keinem Wort. Sie hat es, scheint es, gar nicht nötig, die Schmutzwäsche des politischen Gegners von Gauweiler bis Streibl zu waschen. Frau bleibt auch in der Polemik inhaltlich. „Ja, sind die denn mit dem Klammerbeutel gepudert?“ kann sie dann in Richtung „der noch amtierenden bayerischen Staatsregierung“ fragen, oder: „Haben die noch alle Tassen im Schrank?“
Renate Schmidt verströmt aus allen Poren Offenheit. Und wer traut sich außer ihr schon, alten BayerInnen ausgerechnet die Wohngemeinschaft nahezulegen? Sie moniert die Grundrisse herkömmlicher Familienwohnungen und empfiehlt ihr Modell „Alternde Renate“ in der WG: „Das hat überhaupt nichts mit irgendwelcher Unzucht zu tun.“ Sie redet aus Erfahrung. Davon kann CSU- Kollege Waigel, wegen einer Beziehungskiste in Klatsch und Tratsch geraten, nur träumen. Renate Schmidt machte in einer Frauenzeitschrift auch die private Kritik ihres inzwischen wieder von ihr getrennten Lebensgefährten öffentlich. Das geht eben keinem Mann über die Lippen.
Dann geht es weiter, quer durch Bayern im roten BMW mit Tempo 200 über die Autobahn nach Eichstätt. Das Wetter ist ein bißchen wie die Rhetorik von Renate Schmidt: alles durcheinander, es stürmt, regnet, schneit Graupeln, abwechselnd dunkle Wolken, blauer Himmel und Sonnenschein. Beim Eintrag ins Goldene Buch im Rathaus von Plattling hatte sie betont, daß sie zu spät und sehr in Eile sei. Doch dann, als alle versammelten Honoratioren das auch eingesehen hatten, nimmt sie sich doch Zeit, bleibt länger als erwartet und gewinnt so die Herzen selbst der CSUler. Ihre Verspätung im Gasthaus Krone in Eichstätt wird genau 17 Minuten betragen. Das ist ungefähr die Zeit, die die Menschenmenge gebraucht hatte, um sich im engen Saal und auf der Holzempore zusammenzuquetschen. In Eichstätt unterstützt sie den Bürgermeisterkandidaten, der später in der Stichwahl seinen CSU-Gegner besiegen wird. Ein solch gutes Ergebnis, sagen Insider, „haben die Sozis hier seit der Inquisition nicht mehr gehabt“. Sie ist die Hoffnungsträgerin ihrer Partei. Auf der Fahrt hat sie ihre Pressestelle am Telefon noch schnell um eine neue bayerische Variante zur Finanzierung der Pflegeversicherung bereichert, die eine Lokalzeitung wiederentdeckt hatte: in evangelischen Gebieten wird Fronleichnam, in katholischen der Buß- und Bettag eingespart. Das werde, meint sie, auch die Bischöfe zufriedenstellen.
Zwei Umfragen haben inzwischen ergeben, daß in Bayern die Frauen in der Gunst der WählerInnen vorn liegen. Auf Platz zwei der Beliebtheitsskala steht derzeit die CSU-Politikerin Monika Hohlmeier. Platz eins: Renate Schmidt
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