Sensibel: Andras Schiff in der Musikhalle

Das gibt's wohl nur in Hamburg: Ein Klavierabend mit dem ungarischen Pianisten András Schiff - und der Saal ist nur halbvoll. Dieses Bild bot sich am Donnerstag in der Musikhalle.

Was anderswo auch Nicht-Fachleuten längst bekannt ist, scheint sich in der Hansestadt noch nicht herumgesprochen zu haben. Der 1953 geborene Schiff zählt zu den ernsthaftesten, klanglich und rhythmisch sensibelsten Klavierinterpreten der Welt. Sein Mozart-, Schubert- oder Bartók-Spiel heimst zu Recht allerorten höchstes Lob ein. Schiffs Bach-Interpreta-tion bietet eine der ganz wenigen gleichwertigen Alternativen zu Glenn Gould. Vielleicht hat die Mehrheit der potentiellen Hamburger Konzertgänger auch den Namen Leos Janácek noch nie gehört, obwohl der mährische Komponist zu den Schlüsselfiguren der beginnenden Moderne gehört. Dessen poetische Stücke „Auf verwachsenem Pfad“ (1911) und die durch den Tod eines tschechischen Studenten bei Demonstrationen in Brünn veranlaßte Sonate „1.X.1905“ waren ebenfalls an diesem Abend zu hören. Diese beiden Werke hat Schiff großen Zyklen Robert Schumanns gegenübergestellt. Die musikalischen Wechselbäder der „Davidsbündlertänze“ und der „Sinfonischen Etüden“ erklangen in großartiger Fülle. Schiff ließ sich Ruhe und Zeit für die introvertierten, langsamen Passagen, blieb aber auch den rabiaten rhythmischen Ausbrüchen nichts schuldig. So wurde Schumanns Spektrum vom fast biedermeierlichen kleinen „Klavierstück“ bis zur aggressiven Zerstückelung jeglicher Melodik voll ausgelotet. Bei Janácek machte Schiff deutlich, wie er an die durch Schumann mitgeprägte romantische Klaviertradition anknüpft, durch die Einbeziehung von Elementen tschechischer Volksmusik und das Aufbrechen der musikalischen Verläufe in kurze, stakkatoartige Sequenzen (besonders in der Sonate) aber ganz klar in die Moderne, etwa auf Bela Bartók, weist. Zwei Schumann-Zugaben rundeten das intelligent zusammengestellte Programm ab, und so bleibt nur zu hoffen, daß Hamburg nicht wegen mangelnden Besuches aus dem Tourneeplan Schiffs gestrichen wird.

Ludwig Seyfarth