Die Ukraine vor einer müden Wahl

Bei den Parlamentswahlen am Sonntag gibt es kaum klare politische Unterscheidungen – und die Beteiligung wird vermutlich vielerorts zu einer regulären Wahl nicht reichen  ■ Von Klaus Bachmann

Warschau (taz) – Die Bürger von Dnipropetrovsk in der Ostukraine haben ein Problem. Sie möchten – das haben Meinungsumfragen ergeben – ihre Stimme bei den Parlamentswahlen am Sonntag am liebsten einem Journalisten oder einem Pfarrer geben. Doch in ihrem Regierungsbezirk kandidieren nur sechs Journalisten und kein einziger Priester. Deshalb werden die Dnipropetrovsker genau wie alle anderen Ukrainer, die am Wochenende zur Wahl gehen, eben auch für Kandidaten stimmen, die sie nicht wählen möchten und auch nicht kennen.

Das ist das Ergebnis eines Wahlgesetzes, das vom scheidenden Parlament gegen den Widerstand der nationaldemokratischen Opposition verabschiedet wurde und seinesgleichen sucht. Gewählt wird nach dem Mehrheitswahlprinzip in Einerwahlkreisen. Die Hälfte der Wahlberechtigten muß an der Wahl teilnehmen; um gewählt zu werden, muß ein Kandidat mindestens die Hälfte aller Stimmen erhalten. Klappt das nicht, wird zwei Wochen später die Wahl wiederholt, als Stichwahl zwischen den zwei stärksten Kandidaten. Die Crux liegt dabei in den Bestimmungen über die Aufstellung der Kandidaten, welche für Parteien extrem kompliziert und bürokratisch sind, für sogenannte „Arbeitskollektive“ und Bürgerkomitees – die nur 300 Unterstützungsunterschriften brauchen – aber extrem einfach. So sind von den 5.833 registrierten Kandidaten für die 450 Parlamentssitze nur 643 überhaupt von Parteien aufgestellt worden.

Die meisten dieser Kandidaten entstammen der „Nationalbewegung Ruch“, die zusammen mit anderen antikommunistischen Oppositionsparteien in einem Wahlbündnis antritt. Gegen sie stellt sich ein „Linksblock“ aus Kommunisten, Sozialisten und Kolchospartei zur Wahl.

In der Ostukraine und auf der Halbinsel Krim sind am Wahltag auch Volksbefragungen geplant, hinter denen man in Kiew separatistische Absichten vermutet. Bereits am 22. März begannen die Gewerkschaften in Kharkov auf einer Großkundgebung in der Stadt mit einer Unterschriftenaktion zur Einführung von Russisch als zweiter ukrainischer Amtssprache und der Verabschiedung einer föderativen Verfassung. Dahinter steckt die Forderung, der Region, deren Zentren überwiegend russischsprachig sind, im Rahmen eines ukrainischen Föderativstaates Autonomie zu gewähren. Solche Pläne hegen auch prorussische Organisationen in Donezk und der vor einigen Wochen erst gewählte Präsident der Krim, Jurij Mjeschkow, der gleichzeitig mit den Parlamentswahlen eine Volksbefragung über den künftigen Status der Krim abhalten möchte.

Der Wahlkampf wird überschattet von zahlreichen Übergriffen gegen Kandidaten. Nach wie vor spurlos verschwunden bleibt Ruch-Vizechef Myhajlo Bojtschyschyn, der nach Ansicht seiner Parteifreunde einem Rollkommando der Mafia zum Opfer gefallen ist. Neben zahlreichen anderen Attacken auf Vertreter der nationaldemokratischen Opposition kam es letzte Woche auch zu einem Feuerüberfall auf einen Kandidaten der nationalistischen „Ukrainischen Nationalen Selbstverteidigung“ im westukrainischen Tarnopil, der danach mit lebensgefährlichen Verletzungen im Krankenhaus landete. In Lemberg dagegen nahmen die Behörden einen Kandidaten der ebenfalls rechtsextremen Partei „Ukrainische Staatliche Selbständigkeit“ vorübergehend fest, der im Fernsehen zu antisemitischen Pogromen aufgerufen hatte.

Prognosen über den Wahlausgang am Wochenende sind selten und gewagt. Nur eines ist sicher: Bisherige Parlamentsabgeordnete haben nur geringe Chancen auf eine Wiederwahl. Umfragen zufolge ist allenfalls ein Fünftel der Wähler bereit, den bisherigen Wahlkreisvertreter wieder in den Obersten Rat zu schicken. Ziemlich sicher ist inzwischen auch, daß es in vielen Fällen Stichwahlen geben wird. Experten schließen auch nicht aus, daß ein Teil der Mandate wegen zu geringer Wahlbeteiligung erst nach mehreren Anläufen in einigen Wochen oder auch gar nicht besetzt werden kann. Michail Pogribinskij, Politologe des unabhängigen Kiewer Instituts für politische Untersuchungen gibt sich dennoch optimistisch: „Die Wahlordnung in Rußland war wesentlich besser als unsere. Was herausgekommen ist, wissen wir. Vielleicht ist es bei uns umgekehrt.“