Die Mordbrenner kehren zurück

Mehr als 50 Jahre nach der Reichspogromnacht hat in Lübeck wieder eine Synagoge gebrannt. Ignatz Bubis macht die „geistigen Brandstifter“ für die Tat mitverantwortlich.

In der engen Lübecker St.-Annen-Straße riecht es noch verbrannt. Doch die Vorderfront des etwas nach hinten gebauten roten Backsteingebäudes ist unversehrt. Davor stehen zwei Polizeiposten; im Hof haben Ermittlungsbeamte der Kriminalpolizei ein Zelt aufgeschlagen, damit keine Spuren vom Dauerregen vernichtet werden.

„Die schlimme Botschaft“, kündigt ein feuerrotes Transparent an einer Kirche eine Uraufführung an. Seit gestern hat dieser Titel in der Hansestadt wieder eine furchtbare Aktualität. Wahrscheinlich zwei Molotowcocktails wurden von bisher noch unbekannten Tätern in ein Seitenfenster der Synagoge geschleudert. Die Holztür und der Vorraum fingen sofort Feuer und brannten beinahe aus. Ein Bild der Verwüstung. Verkohltes Holz und angesengte Stoffe wurden von der Feuerwehr auf den Hof geschafft. Ein Mitglied der Jüdischen Gemeinde zeigte sich von dem Anschlag entsetzt, wollte aber angesichts der laufenden Ermittlungen keine Vermutung über die Täter äußern. „Ein großes Lob der Feuerwehr für ihren vorbildlichen Einsatz“, sagte der Mann nur, der sichtlich mitgenommen wirkte.

„Der Symbolwert eines solchen Angriffs ist noch viel schrecklicher als der materielle Schaden“, kommentierte die schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) den Brandanschlag. Auch Lübecker Bürger sind von der skrupellosen Vorgehensweise der Täter betroffen. Über den Gemeinderäumen wohnen sechs Familien, die von dem Feuer akut bedroht waren. Den ganzen Tag über versammeln sich Menschen vor der Synagoge. Ingrid Henke aus Travemünde zündet eine Kerze an. „Ich komme vom Friseur und hatte mir dort vorgenommen, ein kleines Zeichen zu setzen.“ Ein junger Mann legt eine weiße Nelke auf die Mauerumzäunung. „Ich habe in den Nachrichten vom Anschlag gehört und mein erster Gedanke war, hierherzukommen.“ Auf einem Zettel, der an einen Strauß Rosen geheftet ist, steht: „Lieber Herr Katz, wir sind mehr als traurig.“

Berthold Katz ist Kantor der Jüdischen Gemeinde und einer von zwei Lübecker Überlebenden des Holocaust. Er hofft, trotz des Anschlags am Sonntag das beginnende jüdische Passahfest mit seiner kleinen Gemeinde, die nur aus 27 Mitgliedern besteht, feiern zu können. Vor dem Krieg zählte die Gemeinde noch über 60 Juden. In der sogenannten Reichskristallnacht im November 1938 wurde die Lübecker Synagoge zwar geplündert, aber nicht angezündet. Die Nazis wollten damals nicht riskieren, daß das angrenzende „schönste Museum“ der Stadt, ein ehemaliges Kloster, in Gefahr geriet. Die Brandstifter vom Freitag haben auch darauf keine Rücksicht mehr genommen.

Es gab zumindest eine Vorwarnung. „Vor einer Woche wurde ein ZDF-Übertragungswagen beschmiert“, sagt Student Martin Meya von der Antirassistischen Studentengruppe „Hand in Hand“. „Mölln kommt wieder, 20.3. 94“, hätte darauf gestanden. Die Gruppe „Hand in Hand“ sammelt sich vor der Synagoge, um an der Mahnwache teilzunehmen, die seit Freitag abend vor der Synagoge steht. Für heute ist ab 11.30 Uhr eine Demonstration gegen Rassismus in der Lübecker Innenstadt geplant. „Antifaschismus hat in Lübeck Tradition“, sagt der Musiker Poldi Klein, „selbst Hitler durfte nicht auf unserem Marktplatz auftreten.“

Auch die Kriminalpolizei hat bis jetzt keine Hinweise auf die Täter. Ermittlungsleiter Werner Schlisio: „Wir waren seit drei Uhr früh am Tatort und haben alle Spuren gesichert. Die weiteren Ermittlungen liegen jetzt bei der Staatsanwaltschaft Lübeck.“

Auch Lübecks Bürgermeister Michael Bouteiller äußerte seine Abscheu über den Brandanschlag: „Es ist erschütternd, daß Menschen ihren Haß auf Andersdenkende oder Andersgläubige auf diese Weise äußern müssen.“ Der Bürgermeister betonte gleichzeitig, daß der Staatsschutz für derartige Objekte und vor allem für die Menschen Schutz gewährleiste. Die Gemeinde könne ihr Passahfest auf jeden Fall in Lübeck begehen. Solidarität wurde der Jüdischen Gemeinde ebenfalls von der evangelischen Kirche zuteil. Die Beauftragte für den christlich-jüdischen Dialog in der nordelbischen Kirche, Pastorin Ingrid Hohmann, sagte: „Wenn Synagogen zerstört werden, wird auch den Kirchen die Axt an die Wurzel gelegt.“ Lübecks Bischof Karl Ludwig Kohlwage informierte sich selber an der Brandstelle über das Ausmaß der Zerstörung. „Die Evangelische Kirche ist in dieser Stunde aufgerufen, an der Seite der Jüdischen Gemeinde zu stehen“, betonte er.

In der Innenstadt gab es eine Schülerdemonstration und einen antirassistischen Informationsstand. Aber ansonsten ist dort von dem schlimmen Brandanschlag nichts zu spüren, und viele Passanten sind erschreckend uninformiert über das Geschehen. Torsten Schubert