■ Press-Schlag
: Die Knollennase und der Mann mit Maske

An der Tür in den Katakomben der Dortmunder Westfalenhalle hing ein Schild; drauf stand: „RTL Boxen Extra“. Und drunter der Name Henry Maske. Es ging gegen Mitternacht, und im Gang wartete man schon ein ganzes Weilchen auf den Sieger. Doch die Tür blieb zu. Keiner kam raus, keiner kam rein. Da kam frisch gefönt ein großer, blonder Mann mit Bubengesicht daher, winkte lässig den kräftigen Aufpassern zu und trat ein. Das war Burkhard Weber, 38, Sportchef des Fernsehsenders RTL, und wenn man es uncharmant zugespitzt ausdrücken wollte, so etwas wie des Boxers Chef. Jedenfalls, der, der zahlt. Und folglich anschafft. Denn RTL überträgt nicht nur die Kämpfe des Frankfurt(Od)er Boxhelden, RTL macht sie hierzulande überhaupt erst möglich, indem man dem Maske-Manager Winfried Sauerland finanzielle Rückendeckung gibt.

Für den bundesligafreien Sender sind diese Investitionen ein Klacks, insbesondere da sich die Maske-Darbietungen als Quotenrenner erwiesen haben: Eine Million für die nun abgeschlossenen drei Titelverteidigungen hat man Maske überwiesen, 450.000 Dollar dürfte der Kalifornier Ernesto Magdaleno dafür bekommen haben, daß er sich am Samstag seine Knollennase noch knolliger schlagen ließ. Das ist wenig im Vergleich mit den Millionen, die Weber zum Erwerb der Champions-League-Rechte zum Fenster hinausgeschmissen hatte, als er hilflos-zähneknirschend zusehen mußte, wie die Meister Kaiserslautern und Stuttgart durch sportliches Versagen die Quote ruinierten. Zumal bekannt ist, daß man im Boxen allemal besser disponieren kann. Das muß nicht Betrug, das kann auch mal schlicht manageriale Weisheit sein, den Titel nicht ausgerechnet gegen den Allerbesten verteidigen zu wollen. Geht man allerdings andererseits mit einem Gurkengegner auf Nummer Sicher, vergrault man möglicherweise das Publikum.

Ernesto Magdaleno ist keine Gurke. Bis vorgestern (in 19 Kämpfen) ungeschlagen, wurde der 31jährige mit dem traurigen Gesicht von der IBF als Halbschwergewichts-Herausforderer Nr. 1 geführt. Und obwohl er das Boxen weder erfunden hat noch zur Gänze beherrscht, hat er Maske sogar etwas Angstschweiß bereitet. „Der ist“, sagte Maske hinterher, „von der ersten Minute an mit vollem Tempo losgerannt.“ Was allerdings keine Überraschung, sondern so erwartet worden war. Doch ungeplant ließ sich der Weltmeister heftig in die Seile schubsen und tat dem die Halbdistanz suchenden Amerikaner den Gefallen, zu nah am Gegner zu boxen.

Mit steigender Rundenzahl aber traf der 30jährige Rechtsausleger, wie sein nervöser Trainer Manfred Wolke ruhiger werdend mitbekam, „öfter mit der Führungshand“, der Linken, und er „traf immer härter“. Bereits in der Pause zur 6. Runde spuckte Magdaleno nach Luft japsend den Mundschutz aus, und Wolke raunte seinem Henry zu: „Der ist kaputt.“ Tatsächlich: Anfang der 8. Runde schloß ihm der nun völlig laut- und emotionslos arbeitende Maske das eine, am Ende der nächsten auch das zweite Auge. Da Magdaleno keines mehr hatte, war der Kampf aus. „Ich denke“, sagte Henry Maske zu diesem Ende, „daß trotz Verletzung eine klare Dominanz da war.“ Was er meinte: Boxen ist eine Sache des Treffens, nicht des Schlagens. Letzteres tat der Verlierer fast genauso häufig wie der Sieger, ersteres nicht halb so oft.

Das war immerhin mehr, als der sehr auf seine körperliche Unversehrtheit bedachte Maske gewohnt ist. „Ich kann mich nicht entsinnen, daß Henry schon einmal selbst so viel abbekommen hat“, sagte Wolke und lobte: „Jetzt hat wohl jeder gesehen, daß er auch ein großer Kämpfer vor dem Herrn ist.“ Der am Ring weilende Fachmann Alain Delon befand: „Das war das Duell eines Klasseboxers gegen einen Straßenkämpfer.“ Und Henry Maske selbst ergänzte: „Das war mein schwerster WM- Kampf.“

Mittlerweile hat der NVA- Oberleutnant a.D. in Dortmund zufrieden festgestellt, akzeptiert man aber auch seine ästhetisch- chirurgisch angelegten Interpretationen eines ansonsten eher das Vulgär-Emotionale ansprechenden Tuns. 12.000 jubelten in der Westfalenhalle ihrem Henry zu, und direkt am Ring klunkerten nicht die Zuhälterringe, sondern klickten die Pocketkameras, um Gottschalk (mit Thea) und Lindenberg (mit Hut) zu erlegen. Allzumenschlich: Jeden drängt es, dabei zu sein, wenn die Scheinwerfer so hell strahlen wie lange nicht mehr, und die Kamera gerne übers Publikum schwenkt.

Es ist auch irgendwie sehenswert: Ein Boxer, der nicht von seinem Manager ferngesteuert wird, sondern Sekunden nach Abbruch des Kampfes in den Jubel hinein rhetorisch neue Maßstäbe setzt. Der Faustkämpfer als Intellektueller? Wäre zuviel gesagt. Aber als ein Mann, der „auch mit 30 noch aus Erfahrung klüger wird“ (Maske), und der, bei allen branchenimmanenten Zugeständnissen, sagt, was er glaubt, nicht, was er muß. Es trifft sich schlicht, daß das eine das andere ist.

Am 4. Juni geht also die Sache weiter, soll wieder in Dortmund Kasse und Quote gemacht werden, und auch wenn Henry Maske darauf besteht, seinen 24. Profi-Gegner erst am Dienstag bekanntzugeben, darf man getrost mit dem Berliner Graciano Rocchigiani rechnen, jenem boulevardschlagzeilenträchtigen Ex-Weltmeister, der genau dem Bild jenes Boxers entspricht, das Maske widerlegt hat. Bis zum heutigen Montag hat Manager Sauerland dem Kollegen Klaus-Peter Kohl „Zeit gegeben zu reagieren“. Auch negativ? Zumal Kohl es mit der Konkurrenz von „premiere“ hält?

Nun: Burkhard Weber hat bereits angeklopft und verkündet, man werde „Rocky ein Angebot machen, das er nicht ablehnen kann“. Kaum anzunehmen, daß es einer riskieren wird, den Mann mit dem Geld draußen vor der Tür stehen zu lassen. Peter Unfried