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■ Neu in der "Edition Temmen": "Eigenart und Eigensinn", ein nachfragender Überblick über die alternative DDR-Kulturszene

„Für Künstler in der DDR gab es auch etwas zwischen Ausreisen oder ein Mitarbeiter der Stasi zu werden“, sagt Frank Eckart. Er ist einer der Autoren des neuen Buches über alternative Kulturszenen in der DDR zwischen den Jahren 1980 und 1990. Selbst ein Mauerkind, 1962 in der DDR geboren und aufgewachsen, gehört er der Generation an, die im letzten Jahrzehnt stark daran beteiligt war in der DDR eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen. In dem Buch werden Zeitschriften und Bücher vorgestellt, sowie Künstlerplakate und Mail-Art-Objekte. Der Bestandskatalog dokumentiert laut Verleger Horst Temmen eine der umfangreichsten Sammlungen von Dokumenten aus der alternativen Kulturszene der DDR. Damit die Objekte nicht mit dem verschwinden der DDR einhergehen, will Frank Eckart sie festhalten.

Etwas bewahren wollte auch die Osteuropawissenschaftlerin und Sammlerin Antonia Grunenberg. Sie reiste zwischen den Jahren 1980 und 1989 als Touristin häufig in die DDR. Als Souvenire nahm sie Kulturprodukte aus der „alternativen“ Kulturszene mit. Bezahlt und in Empfang genommen wurde das beschriebene und/oder bemalte Papier von der Forschungsstelle Osteuropa in Bremen. Die Mittel für das Buch wurden auch von der Forschungsstelle zusammengesucht.

Im Katalog sind ebenfalls Publikationen aus dem Umfeld der Kirche und Bürgerbewegung aufgeführt. Eine Publikation der Kirche waren zum Beispiel die Umweltblätter. Auf dem Deckblatt der Januar-Ausgabe 1988 teilt die Redaktion mit: „Die Umweltblätter dürfen kein Periodikum und keine Zeitschrift sein, sonst brauchen sie eine Druckgenehmigung und werden unter Zensur gestellt. Sollte also jemand den Eindruck haben, daß wir monatlich erscheinen, so ist das 1. Täuschung und 2. Zufall.“ Auch die Nummerierung war den Umweltblättern untersagt, so bitten sie den Leser, über die für die innerkirchliche Orientierung notwendige „streng interne Nummerierung hinwegzulesen“.

Vor dem Hintergrund der Krise seien viele Bücher im Eigenverlag gemacht worden, sagt Frank Eckart. Seiner Meinung nach, könnte das Organisationsprinzip dieser Eigenverlage in Zeiten der Krise wieder für den Westen interessant werden. Aufgrund der Mittelknappheit haben viele KünstlerInnen zum Beispiel auf Pappe anstelle Leinwand produziert.

Dieser Katalog ist nicht nur für KunsthändlerInnen interessant, er gibt einen Blick auf KünstlerInnen und Kunst frei, der früher von beiden Seiten durch die Mauer verstellt war. „Man trifft immer wieder auf Erstaunen: Ach, das hat's gegeben?“ sagt Eckart. vivA

„Eigenart und Eigensinn, Alternative Kulturszenen in der DDR 1980-1990“, Edition temmen, 224 Seiten, 39,90 DM.