Kurdische Städte werden von Islamisten regiert

■ Weil sie keine kurdischen Parteien wählen konnten, aber gezwungen wurden, ihre Stimmen abzugeben, votierten viele KurdInnen für die islamische Wohlfahrtspartei

Mit einem Massaker begannen die türkischen Kommunalwahlen in den kurdischen Regionen der Türkei. Angeblich „aus Versehen“ fielen am Sonntag Bomben der türkischen Luftwaffe auf Dörfer in der Provinz Sirnak. Die Istanbuler Tageszeitung Özgür Gündem berichtet, daß 41 Menschen getötet wurden. Die anderen türkischen Medien berichteten nur beiläufig über den Vorfall: Nichts Außergewöhnliches für das Kriegsgebiet, das offiziell „Ausnahmezustandsgebiet“ heißt. Wahlen unter Krieg und Ausnahmezustand.

Das Ergebnis in den kurdischen Landesteilen ist denn auch paradox: in Diyarbakir und den meisten anderen kurdischen Städten wird es islamistische Bürgermeister geben.

Damit haben weder die türkische Regierung noch die kurdische Guerilla ihr Wahlziel erreicht. Die Parteien der Regierungskoalition bekamen kaum einen Stich, aber ein flächendeckender Wahlboykott, zu dem die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) aufgerufen hatte, fand auch nicht statt.

Ausschlaggebend für das Wahlergebnis war der erzwungene Rückzug des vorhersehbaren Wahlsiegers in den kurdischen Gebieten, der prokurdischen Partei der Demokratie (DEP). Die DEP, die nach früheren Umfragen die Kommunalwahlen in vielen kurdischen Städten gewonnen hätte, gab nach massiver Repression bereits mehrere Wochen vor den Wahlen auf. Immer wieder hatte es Anschläge auf Parteibüros gegeben, waren Kandidaten der DEP ermordet worden, wurden Auftritte massiv behindert.

Zwei Wochen vor der Wahl dann der Höhepunkt der Anti- DEP-Kampagne. Die sechs DEP- Abgeordneten in der Nationalversammlung in Ankara wurden ihrer Immunität beraubt und unter dem Vorwand des Seperatismus und der Unterstützung der PKK verhaftet. – Mit dieser Aktion machte die türkische Regierungschefin Tansu Ciller endgültig klar, daß sie an einer demokratisch legitimierten kurdischen Vertretung nicht interessiert ist. Die PKK forderte alle Kurden zum Wahlboykott auf, es drohte ein Showdown zwischen Militär und Guerilla.

Selbst das Frühjahrsfest Newroz, Symbol des kurdischen Widerstandes, wurde den Kurden weggenommen. Ministerpräsidentin Ciller erklärte den Tag zum nationalen türkischen Feiertag, mit dem Ergebnis, daß die verhaßten Sonderkommandos der Armee die Newroz-Feuer entzündeten. Als Vorbereitung auf Newroz und die Wahlen hatte das Oberkommando der Armee weitere Verbände nach Südostanatolien verlegt, so daß die kurdischen Gebiete endgültig einem Heerlager glichen.

Das bekamen auch ausländische Delegationen zu spüren, die als Wahlbeobachter in die Türkei kamen, von der Regierung in Ankara aber nicht als solche akzeptiert wurden. Einige Gruppen wurden gleich nach ihrer Ankunft zurückgeschickt, alle anderen so penetrant von türkischer Polizei beschattet, daß sie keine Gesprächspartner fanden, beziehungsweise von sich aus auf Gespräche verzichteten, um die Informanten nicht zu gefährden.

Schlimm erwischte es 52 Beobachter aus drei Ländern, die am Freitag nachmittag in ihrem Hotel in Batman festgesetzt wurden und bis Sonntag nachmittag nicht mehr herauskamen. Die grüne Europa- Abgeordnete Claudia Roth, die schließlich am Sonntag zusammen mit einem Vertreter der deutschen Botschaft nach Batman kam, berichtete gegenüber der taz, die Lage in dem Hotel sei gespenstisch gewesen. „Alle Türen waren verrammelt, alle Telefonleitungen gekappt.“

Zum Glück für die Festgesetzten hatte die Hotelleitung die Forderungen der Polizei, auch den Strom abzuschalten und das Wasser abzudrehen, zurückgewiesen. Erst am Samstag abend gelang es den Eingeschlossenen, eine Nachricht nach draußen zu schmuggeln. Zu allem Überfluß hatte der Vertreter der Botschaft auch noch „begrenztes Verständnis“ für die Festsetzung „aus Sicherheitsgründen“. Beobachter in anderen kurdischen Orten wurden zwar nicht eingesperrt, erhielten aber keinen Zugang zu Wahllokalen.

In vielen kurdischen Dörfern wurde massiver Druck ausgeübt, damit die Leute wählen gehen. Abgesehen davon, daß in der Türkei sowieso Wahlpflicht herrscht, wurde an vielen Orten von Militär und Polizei klargemacht, daß Boykotteure als PKK-Sympathisanten behandelt würden. Trotzdem soll die Wahlbeteiligung in der größten kurdischen Stadt Diyarbakir nach inoffiziellen Angaben nur 75 Prozent betragen haben. Nach Auskunft von Wahlbeochtern sollen auch viele Stimmzettel ungültig gezeichnet worden sein. So berichtet eine deutsche Delegation aus dem Ort Viransehir in der Provinz Urfa (entlang der syrischen Grenze), daß 80 Prozent aller Stimmzettel ungültig gewesen seien. Die Mitglieder der Beobachterdelegation wurden von Zivilpolizisten an Kontakten zu Kurden gehindert, da sie die ja „zum Wahlboykott animieren könnten“. öe/jg