Crossover und Klassenvermittler

■ Das „Kronos Quartet“ gastiert am 6. April mit Neuer Musik in der Musikhalle

Die letzte Epoche der Musikgeschichte war extrem davon geprägt, scheinbar antipathische Stile und Genres zu mischen. Benützte man noch Anfang der 80er den Begriff „Crossover“ nur für die Funk-Rock-Kreuzung, so gab es bald kein musikalisches Register mehr, in dem nicht gecrossovert wurde. Für die Musikergeneration, die heute beginnt, gehört hemmungsloser Zugriff auf alle musikalischen Dateien zur Grundschule.

Aber auch in der sogenannten Klassik wurde die pikierte Ablehnung der Popmusik als „Abfall“ (Ashkenasie) zugunsten einer cleveren kommerziellen Aufrüstung abgelegt und hoffähig. Philip Glass, Leonard Bernstein oder Peter Hofmann sind sehr unterschiedliche Beispiele dieser neuen Mesalliance. Wenigen zeitgenössischen Musiker gelingt es aber, die komplexe Größe populärer Musik zu begreifen und in ihrer Sprache zu transportieren.

Das Kronos Quartet (gegründet in Seattle) gilt hier als Paradebeispiel, denn was Joan Jeanrenaud, Hank Dutt, David Harrrington und John Sherba zum Beispiel an Jimi Hendrix (geboren in Seattle) interessiert, ist nicht der leicht-erspielte Beifall einer Zugabe, sondern die Seelenverwandschaft ekstatischer Komponisten. Damit wirken die vier Amerikaner als künstlerische Klassenvermittler. Denn wo sie dem feinen Klassikpublikum die „Beat-Musik“ ihrer Kinder stillschweigend näherbringen, locken sie auch immer mehr Pop-Freunde in die bizarren Landschaften der Neuen Musik.

Bei ihrer neuen Veröffentlichung All The Rage (eastwest), eine Komposition von Bob Ostertag, der die Ausseinandersetzungen anläßlich einer Demonstration von homophoben Amerikanern 1991 aufgenommen und verarbeitet hat, beweist das Ensemble auch sein politisches Feingespür. Den O-Tönen der Demonstration und Texten, die den Befreiungskampf der Schwulen und Lesben in drastischen Worten beschreiben, antworten die vier Streicher mit beängstigender Klarheit musikalisch. Auf dem Programm ihres Konzertes stehen allerdings andere zeitgenössische Komponisten: unter anderem Sofia Gubaidulina, Brent Michael Davids, Raymond Scott oder Steven Mackay, aber auch noch zu entdeckende Komponisten, denen vom Metal-Fan bis zum Mozart-Freund jeder seine Neugierde schenken sollte.

Till Briegleb

6.4. Musikhalle