: Etappen im Gefühlsmanagement
■ Studie zur Wirkungsweise von Mediengewalt relativiert populäre Auffassungen
Empirische Studien über die Wirkungsweise von Gewaltdarstellungen werden für gewöhnlich als Werkzeug sich selbst erfüllender Prophezeiungen mißbraucht. Voreingenommene Psychologen gestalten ihr Untersuchungsdesign so, daß gewonnene Ergebnisse verträglich sind mit der Angela-Merkel-Ideologie, die gewaltdarstellende Programme generell „durch Schnitte verändern will“. Die fundamentale Unwissenheit über tatsächliche Wirkungen wird bei diesen Zensur-Strategien indessen systematisch verschleiert.
Damit ist jetzt Schluß. Auf der Grundlage empirischer Befragung von 500 Probanden kommt Dr. Jürgen Grimm (Universität Mannheim) in seinem am Montag in Mannheim vorgestellten Zwischenbericht „Techniken zur Entbrutalisierung von Medien“ zu dem Resultat, „daß zwischen Medium und Rezipient komplexe Beziehungen bestehen, die sich nicht auf die griffige Kurzformel einer durch Medien verrohten Gesellschaft bringen lassen“. Eine von ihm deutlich nachgewiesene Wirkung ist dagegen die Verminderung von Aggressivität. Sichtbare Folgen von Gewalteinwirkung auf das Opfer lösen aggressionshemmende Wirkungen aus. Fazit: „Medien wirken, aber häufig anders, als man denkt“.
Die auch vom Verein zur Förderung der Medienforschung (VFM) getragene Studie befragte Probanden beider Geschlecher vor und nach Filmvorführungen hinsichtlich Aggressionsbereitschaft, Einfühlungsvermögen, sozialem Verhalten sowie ihrer Einschätzung der gegenwärtigen politischen Situation. Bei der Erhebung der Daten wurde ferner differenziert zwischen fiktionaler und realer Gewaltdarstellung.
Wie die empirischen Ergebnisse beweisen, ließ die reaktive Aggression und die Bereitschaft zur Legitimation sozialer Gewalt bei allen Befragten nach den Filmvorführungen signifikant nach. Grimm schließt daraus, daß Filmausschnitte nicht passiv als Handlungsanweisung zur körperlichen Gewaltanwendung erlebt wurden. Sie werden eher als flexibles Deutungsraster für Alltagserfahrungen gebraucht. Wurden bei jüngeren Probanden vereinzelt „unterschwellige Verstärkung intoleranter Einstellungen“ im sozialen Bereich nachgewiesen, so waren diese stets abhängig vom jeweiligen konkreten filmischen Kontext: „Da der Mann, mit dem sich die schlagende Lady Dragon auseinandersetzen mußte, ein deutlich fremdländisches Aussehen hatte, traf ihn die geballte feministische Wut in Kombination mit ethnischen Vorbehalten“.
Ferner ließen sich altersspezifisch unterschiedliche Bewertungen feststellen. Versuchsteilnehmer unter 16 Jahren tendierten nach Kampfsportfilmen eher zu einer Legitimation von Gewalt und dem Abbau sozialer Toleranz. Vor dem Hintergrund eines durchweg beobachteten aktivischen Umgangs mit dem „symbolischen Material“ deutet Grimm diese Tendenz jedoch nicht – wie allgemein üblich – als plakative Verrohung, sondern als „Gefühlsmanagement“ im Kontext eines kognitiven Reifeprozesses Jugendlicher: Angstabbau und die Ausprägung interner Kontrolle „stellt zwischen dem 12. Und 15. Lebensjahr eine existentielle Entwicklungsaufgabe dar, deren Bewältigung offenbar durch Actionszenen unterstützt wird“, so Grimm. „Wenn der verminderte Sozialbezug als vorübergehender Reflex einer sich individuierenden Persönlichkeit auftritt, hätten Kampfsportfilme für solche Jugendliche die positive Funktion, eine Etappe im Reifeprozeß zu begleiten.“
Bei der Vorführung von „Rambo 1“ reagierten Jugendliche beispielsweise auf die Verhaftung des Vietnamkämpfers und die anschließende Eskalation des Konflikts zwischen Rambo und der Staatsmacht mit „erhöhter Distanz zur Politik“. Eine Kontrollgruppe, die den Film ohne die Folterszenen bei der Verhaftung sah, reagierte gegenteilig: Jugendliche, die nur den Ausbruch des Einzelkämpfers gesehen hatten, „waren postrezeptiv stärker politisiert“.
Da John Rambo das Idealbild des US-Amerikaners verkörpern soll, läßt sich dieser vordergründige Entpolitisierungseffekt allerdings als um so nachhaltigere Politisierung deuten, und zwar im Sinn der Vermittlung eines reaktionären Welt- und Menschenbildes. Eine direkte Übernahme seines gewalttätigen Handlungsmodells konnte jedoch nicht nachgewiesen werden.
Am eindeutigsten waren die Ergebnisse nach „Savage Street“. Der Film schildert eine ghettoisierte Gesellschaft, in der ein brutaler Kampf zwischen einer männlichen und einer weiblichen Gang entbrennt. Am Ende obsiegt ein weiblicher Rambo. Nachgewiesen wurde hier, daß „im Gesamtsample die Angst zu, die reaktive Aggression jedoch hochsignifikant abnahm“. Gewalt gegen Frauen wurde eindeutig verurteilt.
Grimm schließt daraus, daß die zentrale Verarbeitungsebene derartiger Filmtypen, die eine apokalyptische Gesellschaft mit eskalierter Gewalt zeigen, „nicht die Aggression, sondern die Angst ist“. Die aus dem Verhalten der Probanden gewonnene Erkenntnis läßt sich hinsichtlich einer Differenzierung verschiedener Gewaltfilmtypen verallgemeinern. Endzeitliche „Zombie“-Streifen, die den Zusammenbruch der Wohnstandsgesellschaft thematisieren, sind von ihrer Wirkung her weniger schädlich als „reaktionäre“ Horrorfilme. Durch die sozial negative Zuordnung von „böser Gewalt“ werden gewalttätige Lösungsvorschläge eher legitimiert als in Horrorfilmen wie „Tanz der Teufel“.
Das Gesamtergebnis der nuancierten und fein differenzierten Studie kann hier nur in groben Umrissen angedeutet werden. In der Grundtendenz konnten „keine manifesten Aggressionswirkungen im Sinne einer Erhöhung von Gewaltbereitschaft festgestellt werden“. Statt dessen löst die Identifizierung mit den Folgen der Gewalt beim Opfer verstärkt Aggressionsangst aus. Filmrezipienten sind nach Grimm keine Pawlowschen Hunde, die sich durch gewalthaltige Filme zum Serienmörder ausbilden lassen wollen. Manfred Riepe
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