Arbeiten zum Nulltarif

■ Haustarifvertrag bei IBM beschäftigt wahrscheinlich bald die Gerichte

Berlin (taz) – April, April: Ab dem 1. des Monats müssen die 12.000 MitarbeiterInnen der größten IBM-Tochter Informationssysteme GmbH 38 statt 36 Stunden arbeiten, ohne dafür einen Pfennig Lohnausgleich zu erhalten. Das haben sie einem Haustarifvertrag zu verdanken, den die Unternehmensleitung bereits im vergangenen Dezember mit der Gewerkschaft DAG ausgehandelt hat. Die IG Metall war an den entscheidenden Tarifgesprächen nicht beteiligt. Sie kündigt jetzt Klagen von ArbeitnehmerInnen gegen die neue Arbeitszeitregelung an.

„Hunderte Beschäftigte haben signalisiert, daß sie rechtliche Schritte einleiten wollen“, erklärte Peter Hlawaty von der IG-Metall- Bezirksleitung Stuttgart. Auf jeden Fall werde es Klagen von MitarbeiterInnen an den großen Standorten Stuttgart, Berlin, Hamburg, Düsseldorf, Mainz und Hannover geben. Ihr Ziel: Der von der DAG ausgehandelte Haustarifvertrag soll nur für deren Mitglieder gelten. IG-Metall-Mitglieder sollen dagegen zu den Bedingungen des bisher geltenden Flächentarifvertrages beschäftigt werden, bis die Gewerkschaft einen eigenen Kompromiß mit IBM gefunden hat.

Seine Wurzeln hat der Konflikt in der Umstrukturierung der IBM Deutschland GmbH, die sich Anfang 1993 in eine Reihe von Tochterunternehmen aufgespalten hat. Zur gleichen Zeit ist IBM aus dem Arbeitgeberverband Metall ausgetreten. Mit diesem Ausstieg sind aber die IBM-Töchter – nur eine ist wieder im Arbeitgeberverband – auch nicht mehr an die Flächentarifverträge gebunden. Es mußte neu verhandelt werden. „In dieser Situation ist die DAG auf uns zugekommen“, erklärte eine IBM- Sprecherin. Die IG Metall sei dagegen auf der Position verharrt, daß IBM wieder dem Arbeitgeberverband beitreten soll. Erst nach einem Besuch des zweiten IG-Metall-Vorsitzenden Walter Riester im November sei dessen Gewerkschaft verhandlungsbereit gewesen, so DAG-Unterhändler Ingo Arbter, der dem Betriebsrat der Informationssysteme-Hauptverwaltung vorsitzt. „Aber da waren wir mit dem Haustarifvertrag fast fertig.“

Die IG Metall begründet ihre Ablehnung der 38-Stunden-Woche unter anderem mit dem geplanten Beschäftigungsabbau bei IBM. In einer solchen Situation könne man die Wochenarbeitszeit nicht pauschal erhöhen, so die IG Metall. Bei IBM sollen 1994 4.500 Arbeitsplätze abgebaut werden, davon 2.500 bei der Informationssysteme GmbH. „Entlassen wird dabei niemand, wir wollen das im Rahmen von Frühpensionierungen regeln“, versicherte eine Unternehmenssprecherin. Sie verwies außerdem darauf, daß es für die zwei Mehrstunden zwar keinen Lohnausgleich gebe, die Einkommen aber weiterhin über denen der Flächentarifverträge liegen. Generell sehe der Haustarifvertrag ein „stärker leistungs- und erfolgsorientiertes Bezahlungssystem“ vor.

Indessen fürchtet IG-Metall- Verhandlungsführer Hlawaty, daß der umstrittene Haustarifvertrag Pilotfunktion für die anderen IBM-Töchter haben wird. Nicht ganz zu Unrecht: „Wir haben ein einfaches und innovatives Vertragswerk geschaffen“, klopfen sich die Verhandlungsführer von IBM und DAG in einer Erklärung gegenseitig auf die Schultern. Silvia Schütt