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Schöne Grüße aus Nebelheim

■ Wo Heiden und Christen einander die Hand reichen: In den Katakomben des Bremer Doms erzählen steinalte Reliefs von Teufelswerk und Heilshoffnung Von Kirsten Lorenz (Fotos) und Thomas Wolff (Text)

Tod und Verderben ringen hier miteinander: Schlange und Wolf haben sich ineinander verbissen, und was das bedeutet, ist jedem echten Heiden wohl klar. Der fürchterliche Kampf, der sich auf den Reliefs in der Ostkrypta des Bremer Doms zuträgt, entstammt der germanischen Mythologie. Und dort gibt es eben einfach nichts Böseres als diese Untiere: Midgardschlange und Fenriswolf sind praktisch die Geschwister der Schlechtigkeit auf Erden, an welcher sie nagen und zehren, bis alle Welt verspachtelt ist. Solche Bilder des Unheils finden selten ihren Platz im Gotteshaus. In Bremen aber ging zur Dombauzeit, kurz nach der Jahrtausendwende, kaum ein Weg vorbei am heidnischen Götter- und Dämonenglauben. So steht er in all seiner Pracht den Christen noch heute vor Augen, und gibt ihnen die schönsten Rätsel auf.

Denn längst hat sich die Bedeutung der urgermaischen Zeichen und Symbole verloren. So gut wie, zumindest. Ein kleines Häuflein unbeirrbarer Forscher sucht immer wieder mal nach den Geschichten, die sich da in den Eingeweiden des Doms verbergen. Und fördert, alle Jubeljahre, die köstlichsten Sagen zutage.

Wer z.B. in die Krypta hinabsteigt und im Dämmerlicht ein paar wunderschön stilisierte Blumen in den alten Steinen entdeckt – der hat offenbar seine „Edda“ nicht gelesen. In jener fabelhaften Dichtung, die die altgermanische Wunderwelt ziemlich vollständig schildert, ist von den drei Kreisen die Rede, welche im Prinzip das Universum und den ganzen Rest darstellen. Asgard, die Götterwelt; Midgard, die bewohnbare Erde; und Nebelheim, eine Art Turbovorhölle für die Schlechteren unter den Germanen. Wie's der Bremer Autor Detlev Ellmers sieht, stehen die blumigen Kreise auf den Kapitellen also für die Sphären dieses Weltbildes: Eine Welt als kreisrunde Scheibe, außenrum das endlose Meer natürlich. In dem aber lauert das Unheil: „Odin warf die Midgardschlange in das tiefe Meer, das die Lande umgibt, und die Schlange wuchs derartig, daß sie mitten im Meer liegt, um alle Lande herum, und sich in den Schwanz beißt“, zitiert Ellmers die Edda. Und so kreucht die alte Schlange auf den Bremer Reliefs immer schön um die Erdenscheibe rum; mal sich selbst, mal den Wolf beißend.

Das müßte nun niemanden weiter beängstigen; wenn nicht noch mehr Schlangen auf den Kapitellen herumschlichen und Böses ahnen ließen. Domspezialist Hans Henry Lamotte schreibt der Schlange zwar prinzipiell auch den „Besitz heilsamer Kräfte“ zu. Aber im Grunde setzt sie ihre unheimlichen Fähigkeiten doch lieber zum Schaden der Menschlein ein. Abermals verweist Ellmers daher auf die Edda. In deren Gruselkabinett findet sich auch die Schlange Nidhögg („die haßerfüllt Hauende“), die nicht nur emsig „an den Wurzeln der Weltesche nagt, sondern auch die Leichen der Abgeschiedenen martert“ – womöglich noch die Gebeine der Arztheiligen Cosmas und Damian, denen die Ostkrypta ursprünglich als letzte Ruhestätte diente... Gleichviel – Im „Grimnirlied“ des 13. Jahrhunderts heißt es klipp und klar: „Die Esche Yggdrasil muß Unbill leiden/ mehr als man meint:/ Der Hirsch äst den Wipfel/ Die Wurzeln nagt Nidhögg/ An den Flanken frißt die Fäulnis.“

So liegt also die Welt in ihrem ganzen, steten Ringen den Bremern zu Füßen. Die Blatt- und Rankenornamente, welche die Kapitelle schmücken, dürften demnach die nordische Weltesche repräsentieren – wie sie von den Dämonen seit Urzeiten geplagt wird. Gern werden die Pflanzenmotive zwar auch als „Sinnbild der Sonne“ gedeutet, wie sie – gemäß der christlichen Heilslehre – dann, irgendwann am Ende, doch das Böse überstrahlt. Und tatsächlich sind die Zeichen, die die Bildhauer um 1040 in den Stein schlugen, nicht doch ganz umstandslos dem Bilderschatz der Heiden zuzuschreiben. Der Autor Goetz Ruempler z.B. sieht die Sonne „als Symbol für das Gute schlechthin“. Daß christliche und heidnische Vorstellungen in der Krypta wirklich in direkter Nachbarschaft enstanden sind, wird durch die Kirchengeschichte selbst gestützt. Zu Zeiten des legedären Adalbert, der als Bischof den Dom nach einer Brandkatastrofe wieder aufbauen ließ, schlug sich die Bremer Gemeinde noch recht zäh mit dem Heidenvolk herum. Adam von Bremen , der gleichfalls legendäre Chronist, beschreibt die Nöte und den Umfang der Mission: Adalbert schickte „Ermahnungsschreiben durch ganz Dänemark, Norwegen und Schweden und bis an die Grenzen der Erde“, um die dort residierenden Kirchenvertreter anzuhalten, „sich unerschrocken der Bekehrung der Heiden zu widmen.“ Welche ja immerhin in zyklischen Abständen u.a. das nahe Hamburg völlig niedermachten.

Um die Kraft der Heiden zu brechen, war es vermutlich ein geschickter Schachzug, die germanische Mythologie gleichberechtigt neben die christliche Ikonografie zu stellen. Und zwar im wörtlichen Sinne: Zu beiden Seiten des Altars prangten und prangen noch die Symbole beider Welten; hier der Schmerzensmann und die Sonne, dort die Untiere, wie sie an den Wurzeln der Weltesche schaffen.

Es wird noch eine Weile dauern, bis etwas mehr Licht in diese dunkle, fast vergessene Ecke der Kirchengeschichte fällt. Von den seltsam glotzenden Masken in der Krypta z.B. vermuten die Einen, es handele sich um „gequälte Seelen“, die Anderen halten sie für Götter oder doch wieder Dämonen, die es zu bannen galt. Noch die knotenförmigen Ornamente sollen entsprechende Bedeutung tragen: „Die zaubrische Kraft des Knotens“ soll das Böse „mit magischen Kräften an seinen Platz heften.“ Am schönsten aber ist die Geschichte, die uns die Vogelgestalten erzählen: Diese verweisen abermals auf die Edda und somit auf die Raben Hugin und Munin, die „morgens über die ganze Welt fliegen und Odin beim Frühstück alles Gesehne berichten.“

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