Der Herr der herrenlosen Bilder

Herbert Schirmer, letzter Kulturminister der DDR, sammelt ostdeutsche „Auftragskunst“ / Der frühere CDU-Mann und heutige Sozialdemokrat will das Verdrängen von DDR-Realität verhindern  ■ Aus Beeskow Anja Sprogies

So mancher Künstler würde heute viel dafür geben, sein auf Burg Beeskow in Brandenburg gelagertes Bild übermalen zu dürfen. Zum Beispiel um eines der immer lächelnden Gesichter etwas nachdenklicher zu stimmen. Oder besser noch: das Bild gleich ganz verschwinden zu lassen.

Doch Burgherr Herbert Schirmer ist da streng. „Wer sich von seinen Bildern distanzieren will, dem werde ich einen Strich durch die Rechnung machen.“ Eines möchte Herbert Schirmer mit seiner Sammlung „Auftragskunst in der DDR“ nämlich auf jeden Fall verhindern: das Verdrängen von DDR-Realität.

Wenn Schirmer den Künstlern des untergegangenen Staates empfiehlt, „jeder muß zu dem stehen, was er gemacht hat“, dann gilt das gleichermaßen für seine Person. Sein politischer Werdegang in der DDR begann 1987 mit dem Beitritt zur CDU. „Damals habe ich noch geglaubt, daß man die CDU reformieren kann.“ Später war er Kulturfunktionär im Bezirk Frankfurt/Oder, und nach der Wende – „halb zog man ihn, halb sank er hin“ (Schirmer über Schirmer) – Kulturminister der letzten DDR-Regierung unter Lothar de Maizière. „Ich kann mit dieser Zeit leben“, meint der jetzige Burgdirektor trotzig, doch muß auch Schirmer sich manchmal den Vorwurf „Wendehals“ gefallen lassen.

An die Gemäuer von Burg Beeskow sind die Zeugnisse staatlicher Kulturpolitik gelehnt: Blaugekleidete Arbeiter tanzen da lachend vor dem Brandenburger Tor. Zwei Badenixen – eine weiß-, die andere dunkelhäutig – reichen sich völkerfreundschaftlich die Hände. Und Staatschef Erich H. steht mal wieder in der ersten Reihe, trotzdem sein Lack schon etwas blättert.

Der letzte Kulturminister der DDR sammelt alle Kunstwerke, die zu DDR-Zeiten „von Funktionären oder Politikern“ in Auftrag gegeben wurden. „Ich nehme alles, was mit unter die Finger kommt. Egal welcher Qualität.“ Über 3.000 Grafiken, 300 Gemälde und sechzig Plastiken sind es schon. Und täglich werden es mehr.

Woher hat der gelernte Heizer, Maschinist und Buchhändler die Kunstwerke? 1990 hatte Schirmer beobachtet, wie in den öffentlichen Gebäuden und NVA-Kasernen plötzlich Bilder von den Wänden verschwanden. Die Werke wurden damals in den Keller getragen, mit nach Hause genommen oder schlicht in den Müll geworfen. „Zumindest drohte die Gefahr, daß sie unwiderruflich in dem Orkus der Geschichte landeten“, meint Schirmer. Um dies zu verhindern, gründete der Minister eine Stiftung als Rechtsnachfolgerin des Zentralen Kulturfonds der DDR, der einst für die Verwaltung der Auftragskunst zuständig war.

So kamen die meisten Bilder erst einmal in den Keller seines Ministeriums am Berliner Molkenmarkt. Dann setzte Schirmer ein Dekret durch, das den Museen der ehemaligen DDR erlaubte, sich aus den im Keller gesammelten Beständen zu bedienen. Doch kaum ein Museum war an den Werken interessiert. Zunächst.

Nach der staatlichen Einheit am 3. Oktober 1990 wurde der Ex-Minister arbeitslos. „Ein Gnadenbrot“ – ein neuer Job – in der Konrad-Adenauer-Stiftung wurde ihm nicht angeboten. Er hätte ihn sowieso abgelehnt. Schirmer hatte eine bessere Idee: Er verließ die Christdemokratische Partei. „Mir ist ihre mangelnde Kompetenz lange nicht klargeworden“, sagt er heute.

Nach einem Jahr der Grübelei folgte er dem politisch Opportunen und trat der SPD bei. Frei nach dem Motto: Wer in Brandenburg etwas werden will, muß Sozialdemokrat sein. Und Schirmer wollte weiter politisch arbeiten. Prompt bekam er auch einen Sitz im SPD- Kulturforum. Und in wenigen Wochen will er für den Potsdamer Landtag kandidieren.

Ob er künftig Brandenburgs Kulturminister sein will? Schirmer schüttelt den bärtigen Kopf. „Ich kann mich dazu nicht äußern.“ Nur soviel: „Kulturpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion möchte ich schon werden.“

Vor über zwei Jahren wurde Herbert Schirmer schließlich Herr von Burg Beeskow. Seine Aufgabe war es, in der brandenburgischen Kreisstadt ein regionales Kulturzentrum aufzubauen. Und Schirmer setzte sich noch ein zweites Ziel: Wieder wollte er – diesmal als Museumsdirektor – die Kunst des realen Sozialismus retten. Die Bestände aus dem Keller seines ehemaligen Ministeriums in Berlin landeten in einem Burgzimmer des renovierten Seitenflügels.

Versteht Herbert Schirmer sich heute als Anwalt der DDR-Kunst? Oder will er mit seiner medienwirksamen Sammlung nur in die Schlagzeilen, um Publicity für seine Kandidatur für den brandenburgischen Landtag zu machen? Wohl beides. Vor allem aber will er „den Bestand der DDR-Auftragskunst sichern“. Schirmer will aufklären, und auf keinen Fall möchte er, daß über die Bilder gelacht wird. „Ich sammle kein Lachkabinett.“ Ein wenig schmunzeln ist erlaubt, aber nicht mehr.

Schirmer ruft zur Sachlichkeit im Umgang mit der DDR-Auftragskunst auf. Immerhin habe die staatliche Auftragsvergabe auch einen gesicherten Broterwerb für die Künstlerinnen und Künstler bedeutet. Und fast alle Bilder würden „solides handwerkliches Können“ beweisen. Vor allem: „Die Bilder geben ein großes Stück DDR-Realität wieder.“

Er möchte mit der Sammlung, die im Herbst auf Wanderschaft durch bundesdeutsche Galerien gehen wird, „Vorurteile bestätigen oder abbauen“. Er möchte diffenzieren, zwischen den Zeiten, in denen Kunstwerke entstanden sind, und den Künstlern. Er will „das opportunistische Verhalten mancher Künstler belegen“, aber auch „die Instrumentalisierung der Kunst durch die Politik aufzeigen“.

Gerade in den sechziger Jahren sei die Auftragsvergabe „sehr beschränkt“ gewesen. „Der arbeitende, glückliche Mensch stand im Vordergrund.“ Zum Beispiel: die Lehrerin mit dem rotem Pullover, die tanzenden Arbeiter oder der Kindergeburtstag mit roten Äpfeln. Schirmer zeigt auf die Bilder, von denen er sich keines ins eigene Wohnzimmer hängen würde.

Bereits in den siebziger Jahren sei, so Schirmer, „eine gewisse Aufbruchstimmung“ zu erkennen. „Vor allem Künstler aus dem Leipziger Raum wollten dem offiziellen Kunstbetrieb nicht mehr gehorsam sein.“ Stilleben, Landschaftsbilder und auch „Problembilder wurden wieder akzeptabel“.

In den achtziger Jahren seien die Aufträge dann „schon nicht mehr so gezielt“ vergeben worden. „Die Einflußnahme ist erheblich zurückgegangen“, sagt er. Der Herr der herrenlosen Bilder möchte „faktische Zusammenhänge“ zwischen Kunst, Politik und DDR-Alltag aufzeigen. Die zentrale Frage für ihn ist: „Was hat jeder Künstler geglaubt tun zu müssen, und was von dem, was er tat, hat er wirklich geglaubt?“ Die Antworten werden für die Künstler nicht immer erfreulich sein. „Aber sie sind wichtig“, meint der frühere Kulturminister.

Auf Burg Beeskow lagert der Stoff für unzählige Doktorarbeiten. Schirmer hofft: „Es wird mehr und andere Chancen geben, über die DDR-Auftragskunst zu arbeiten, wenn der Abstand größer ist.“ Und um der historischen Gerechtigkeit willen fügt er noch an, daß es auch in den alten Bundesländern Auftragskunst gebe: Bilder passend zum Teppich, etwa im Bonner Bundeskanzleramt.