Aderlaß für Sozialmieter

■ Baubehörde bittet zur Kasse: Sozialwohnung sollen bis zu 30 Prozent teurer werden / Lockruf für Investoren / Mieterverein warnt Von Marco Carini

Schnell, schneller, Wagner. Kaum hatte Hamburgs Bausenator am 23. März seine Vorschläge für ein neues Vergabe- und Förderungssystem von staatlich subventionierten Wohnungen präsentiert, da wurden diese auf der SPD-Klausurtagung am vergangenen Wochenende bereits durchgewunken.

Der Wagner-Vorstoß scheint überraschend geräuschlos über die politische Bühne zu gehen: Bislang stand allenfalls der „sogenannte „Hamburg-Bonus“ im Mittelpunkt der Kritik. Danach sollen Menschen, die weniger als drei Jahre in Hamburg wohnen, kaum noch Chancen haben, an einen Dringlichkeitsschein heranzukommen, der zum Bezug einer Sozialwohnung berechtigt. Doch die Wagner-Pläne enthalten weit mehr sozialen Sprengstoff. Einkommensschwa-che Wohnungssuchende werden doppelt bestraft: Durch Reduzierung des Neubaus von Sozialwohnungen im ersten Förderweg und drastische Erhöhung der Anfangsmieten .

Werden die Wagner-Pläne vom Senat abgesegnet, steigen innerhalb von nur knapp drei Jahren die Sozialwohnungs-Anfangsmieten um über 40 Prozent: Sie betrugen bis Herbst 1991 noch 7 Mark und würden auf 9,80 Mark klettern. Dazu kommt: Die Gehalts-Bemessungsgrenzen, die zum Bezug einer Sozialwohnung berechtigen, blieben seit 1980 nahezu unverändert. Da Gehälter und Lebenshaltungskosten in der Zwischenzeit aber heftig kletterten, rutschten immer mehr Wohnungssuchende über die Einkommensgrenze ohne – inflationsbereinigt – über mehr Geld zu verfügen. Sie müssen nun – dafür sorgen die neuen Förderungswege 3-6 – Anfangsmieten zwischen 11,80 und 17,80 Mark zahlen.

Bisher gingen auch die Fachleute in der Baubehörde von dem Grundsatz aus, daß die Sozialmieten im Schnitt nicht mehr als 25 Prozent des Nettolohns ausmachen sollten. Nach dem Wagnerschen Vorstoß müssen die meisten SozialmieterInnen, die in eine neue Wohnung einziehen, aber zwischen 35 und 40 Prozent ihres Nettolohns für die Warm-Miete berappen.

Obwohl die Finanzbehörde mächtig auf eine kräftige Erhöhung der Sozialmieten drängte, war innerhalb der Baubehörde bis vor wenigen Wochen allenfalls eine Anhebung der Anfangsmieten für Sozialwohnungen um 30 bis 60 Pfennige im Gespräch. KritikerInnen warnten allerdings schon vor diesem Preissprung: Da die Realeinkommen zur Zeit stagnierten, sei der geplante Mietaderlaß „sozial unverantwortbar“. Doch Wagner setzte sich über solche Bedenken hinweg. Statt um 30 bis 60 Pfennige schrieb er eine Erhöhung um 85 Pfennige in sein Papier. Eine Mitarbeiterin der Baubehörde: „Ein Kniefall vor der Finanzbehörde“.

Die Erhöhung der Anfangsmieten und die neuen Förderwege für Wohnungen für einkommensstärkere Gruppen sollen vor allem neue Bau-Investoren locken. Doch Achtung: Trotz Zusatzförderung sollen in den kommenden Jahren nicht mehr Wohnungen mit staatlichen Finanzhilfen gebaut werden als bisher. Dafür sollen künftig vermehrt Wohnungen für Bevölkerungsgruppen erstellt werden, deren Gehalt die Einkommensgrenzen für Sozialwohnungen um bis zu 110 Prozent überschreitet.

Der Neubau von „klassischen“ Sozialwohnungen (1. Förderweg) wird hingegen um fast ein Fünftel zurückgefahren: von 2600 auf 2200 Wohneinheiten. Achim Woens von „Mieter helfen Mietern“ klagt deshalb: „So wird im Neubaubereich den unteren Einkommensschichten bezahlbarer Wohnraum entzogen.“ Doch gerade der wird in der Hansestadt am dringensten gebraucht.

Aber nicht nur Hamburgs SozialmieterInnen sind von der Wagnerschen Offensive betroffen. „Diese Mieten treiben auch das Mietniveau im freifinanzierten Wohnungsbau in die Höhe“, warnt Achim Woens. Denn die vergleichsweise billigen Sozialwohnungs-Mieten wirkten, obwohl sie nicht in den Mietenspiegel eingehen, preisdämpfend für den gesamten .

Damit dürfte nun wohl bald Schluß sein. Denn die Erhöhung der Anfangsmiete für staatlich subventionierte Neubauwohnungen ist nur ein Testballon für eine weit einschneidendere Offensive aus dem Hause Wag-ner. Nach den Neubauwohnungen sollen auch die Mieten für die bestehenden Sozialwohnungen gewaltig klettern. Rechtzeitig zu Beginn der Haushaltsberatungen im kommenden Sommer will der Bausenator nach Informationen der taz gewaltig an der Preisschraube drehen. Um horrende 25 bis 30 Prozent sollen dann nach Wagners Willen die Mieten für Hamburgs rund 200.000 Sozialwohnungen klettern.

Und damit hätten sie das Niveau des freien Wohnungsmarkts erreicht.