Die Schönheit liegt unter Tage

■ Der Mann, der die Metalle kannte: Chemnitz feiert den 500. Geburtstag Georg Pawers mit einer Ausstellung über Bergbau

Albrecht Dürer war 22 und noch auf Wanderschaft, Thomas Müntzer erst fünf Jahre alt, und Paracelsus lernte eben laufen. Ein Christoph Kolumbus hatte vor zwei Jahren Kuba und Haiti entdeckt, und in Deutschland begannen die Bauern, sich unter dem Bundschuh zu sammeln.

In Glauchau, an der Zwickauer Mulde, wurde am 24. März 1494 dem Tuchmacher- und Färbermeister Gregor Pawer ein Sohn geboren. Über die Mutter ist nichts bekannt, nicht einmal der Name. Georg kam mit 12 Jahren nach Chemnitz, auf die Lateinschule, mit 20 an die Universität Leipzig. 1515 legte sich der junge Akademiker seinen klangvollen lateinischen Namen zu: Aus Georg Pawer wurde Georgius Agricola. Da hatte er bereits die Ideen des „Fürsten der Humanisten“, Erasmus von Rotterdam, eingesogen.

Mit 24 übernahm Agricola eine neugegründete Griechisch-Schule in der kursächsischen Kleinstadt Zwickau. Dort mischte er sich noch ein bißchen in die aktuellen politischen Auseinandersetzungen ein, einen Vierzeiler wider den Ablaßhandel soll er gedichtet haben und Müntzer zugesagt, sich auf dessen Seite an einem theologischen Disput zu beteiligen. Doch dazu kam es nie: Der Schöngeist brachte lieber seine eigene kleine Revolution in die Schule. Er führte neben Griechisch und Latein weitere Unterrichtsfächer ein, Bau- und Meßwesen, Ackerbau, Weberei. 1520 veröffentlichte er eine Lateinische Schulgrammatik. Neu daran war, daß sie vor die drögen Lehrsätze Beispiele aus dem alltäglichen Leben stellte.

Nach der obligatorischen Italienreise kehrte er ins Sächsische zurück, als Doktor der Medizin. Von den Stätten der Antike brachte er die Neugier auf Minerale mit. Er wollte fortan „den jeweiligen Heilkräften Entsprechendes ans Licht bringen, was in Deutschland in den Bergwerken aufgefunden werde und in der Antike noch unbekannt gewesen war“. Georgius Agricola, der nun im böhmischen St. Joachimsthal (Jáchymov) lebte und in eine reiche Familie geheiratet hatte, krempelte die heimische Erde nach Silber um und das Hüttenwesen seiner Zeit nach allen Regeln der Kunst: „Viele sind der Meinung, der Bergbau sei etwas Zufälliges und eine schmutzige Tätigkeit und überhaupt ein Geschäft, das nicht sowohl Kunst und Wissenschaft als körperliche Arbeit verlange.“ Diesem Irrtum setzte der geschäftstüchtige Gelehrte gleich zwölf Bände entgegen – sein Hauptwerk, „De re metallica“. Sie gehören bis heute zum Besten, was jemals über Technik geschrieben wurde, ein mit 292 Holzschnitten illustriertes Kompendium über Minerale und Mechanik, Meteorologie und Politik, eben über die „Kunst und Wissenschaft“ des Bergbaus.

Agricola gilt seitdem als Begründer des modernen Montanwesens, doch er war weiterhin Arzt, meldete sich mit einer „Türkenrede“ in der Politik zu Wort, ließ sich durch seinen Herzog viermal, zwar nicht begeistert, aber eben pflichtbewußt, zum Oberbürgermeister von Chemnitz und einmal in den Krieg befehlen, und er schrieb und schrieb und schrieb. 1549 erschienen „Die Lebewesen unter Tage“, 1550 „Maße und Gewichte“, 1554 seine bitteren Chemnitzer Erfahrungen als Arzt: „Die Pest“. Für Kurfürst August verfaßte er das genealogische Werk „Sippschaft des Hauses Sachsen“. So war Agricola fast ein früher Typus von Workaholic, bis er am 21. November 1555 in Chemnitz starb.

Jede Zeit hat die Gedenktage, die sie braucht. Die Chemnitzer mit ihrem haushohen Marx vor dem Arbeitsamt und drei Bürgermeistern in drei Jahren, sie zeigen gern auf ihren bedeutenden Agricola. Wo der Alltag so grau aussieht wie die „Straße der Nationen“, da soll wenigstens der Glanz der Vergangenheit nicht vergessen werden, und die Zwickauer und Glauchauer, das Sachsenland und das Böhmerland feiern mit. Dabei fällt auch etwas Licht auf den Landesvater, der als „Träger des Ehrenpatronats für das Agricola-Jahr 1994“ immer mal wieder das Ehrgefühl seines Völkchens wachruft: „Fleiß und Wissen, Staatstreue, Mut zum politischen Amt“ lautet die fromme Botschaft zur rechten Zeit.

Die erstklassig bestückte Ausstellung „Agricola Bergwelten“ führt jetzt 500 Jahre Kulturgeschichte des Bergbaus und der Medizin vor. Keine ermüdenden Texttafeln – für Hintergrundinformationen gibt es schließlich den hervorragenden Katalog –, dafür aber eine Exponate-Schau, in der man sich gern verläuft: Miniaturen von Silberbergwerken, Goethes Mineralienschrank, eine mittelalterliche Druckwerkstatt, metergroße Wimmelbilder aus dem 17. Jahrhundert, die detailgenau Fundgruben, Stollen, Pferdegöpel und was noch zu einem Bergdorf gehört, aufreißen; Kunstwerke von Marinus van Reymerswaele „Der Geldwechsler und seine Frau“, 1541, bis zur Videoinstallation von Fabrizio Plessi, 1993, und natürlich jede Menge Original-Agricola.

Kritische Fragen, etwa nach den ökologischen Folgen des Bergbaus, dem „strahlenden“ Erbe der Silber- und Uranförderung, wie sie von anderen Einrichtungen während des Agricola-Jahres mehrfach behandelt werden, sind in der erlebenswerten Ausstellung allerdings nur jenseits der Exponate zu erahnen. Detlef Krell

„Georgius Agricola Bergwelten 1494–1994“, Städtische Kunstsammlungen Chemnitz, Theaterplatz 1, noch bis 29. Mai 1994, Katalog 28 DM. Die Ausstellung wird vom 19. Juni bis 4. September im Deutschen Bergbau-Museum Bochum und vom 7. November bis 31. Januar 1995 im Technischen Nationalmuseum Prag gezeigt.