■ Bayerns Beckstein als Avantgardist der Kurdenabschiebung
: Tödlicher Irrglaube

Bayerns Innenminister Günther Beckstein, ein dumpfer Scharfmacher übelster Sorte, hatte über Ostern sein großes Coming-out. Mangels anderer innenpolitischer Themen durfte er in fast jeder Nachrichtensendung darlegen, daß sein Bayern sich die „Krawalle von Kurden“ nicht gefallen ließe; daß deshalb der Freistaat, auch wenn die anderen Bundesländer feige zurückwichen, festgenommene Kurden in die Türkei abschieben werde – und zwar so schnell wie möglich. Nun ist die bayerische Landesregierung, zumal in einem Wahljahr, in dem der CSU eine Niederlage „historischen“ Ausmaßes droht und Stoiber von einem Amigo zum nächsten taumelt, für jede thematische Abwechslung besonders dankbar und besonders willig, sich zur Speerspitze ausländerfeindlicher Ressentiments zu machen – aber Bayern ist hier ja nicht allein auf weiter Flur. Der bayerische Innenminister pfeift nur die von seinem Bonner Kollegen Kanther angestimmte Melodie nach. Und der üble Spruch von der „neuen Dimension des Terrors“ stammt immerhin von Kohl selbst.

Noch stehen zwischen den politischen Sprüchen und den tatsächlichen Abschiebungen deutsche Gesetze und die von der Bundesrepublik ratifizierte Genfer Konvention, für deren Umgehung die Bundesregierung nun ausgerechnet in Ankara um einen Ablaßzettel nachsucht. Der türkischen Regierung ist es egal, welche Zusicherung sie Kanther unterschreiben soll, sie wird sich sowieso nicht an sie halten. Sie will Kriegsgegner, die sie für Terroristen hält, „unschädlich“ machen. Wer sich daran erinnert, wie die bundesdeutsche Justiz gegen RAF-Angeklagte Gesetze gebeugt hat, wie die Briten gegen IRA-Leute vorgehen, kann sich vorstellen, wie die türkische Justiz mit vermeintlichen oder tatsächlichen PKK- Mitgliedern umspringen wird.

Schlimm genug, daß es der Bundesregierung egal ist, was mit den Leuten, die sie abschiebt, anschließend passiert. Aber schlimmer noch ist der für die Betroffenen tödliche Irrglaube, damit würde ein Problem gelöst. In der Bundesrepublik leben mehr als zwei Millionen EinwanderInnen aus der Türkei, davon ungefähr eine halbe Million kurdischer Abstammung. Statt diese Menschen hier kulturell als Kurden anzuerkennen, macht die Bundesregierung die katastrophale Politik der türkischen Generäle gegen die Kurden tendenziell mit. So wie der Krieg in Kurdistan eskaliert und die PKK zu Anschlägen in der Westtürkei übergeht, verschärft sich das Klima zwischen der türkischen und kurdischen Bevölkerung auch in den großen Städten der Westtürkei. Das wird sich auch auf die Beziehungen zwischen türkischen und kurdischen ImmigrantInnen hier auswirken. Besonders wenn die Bundesregierung mit dazu beiträgt, den Konflikt zu eskalieren. Mit den Kurden glauben deutsche Politiker ein Problem abgeschoben zu haben. Statt dessen holen sie es sich erst recht ins Haus. Jürgen Gottschlich