: Den Hl. Geist angerufen
■ Er kam aber nicht zu Einsteins „Schlimmer Botschaft“
Anfang der zwanziger Jahre fand der erste Gotteslästerungsprozeß in der Geschichte der Weimarer Republik statt. Angeklagt war der Kunstkritiker Carl Einstein. Sein Drama „Die Schlimme Botschaft“ wurde beschlagnahmt. Einstein zahlte eine Strafe von 10.000 Reichsmark. Seine publizistischen Erfolge wie der berühmte Roman „Bebuquin“ oder sein bahnbrechender Aufsatz über die „Negerplastik“ schützten den Debütanten im dramatischen Fach nicht vor Volkszorn, Hexensabbat und Blasphemievorwurf. Einsteins Stück zeigte, daß eine heutige Kreuzigung Jesu ein Medienspektakel sein würde. Darum weigert sich sein Jesus, ans Kreuz genagelt zu werden. Vergeblich, denn frühe Kirchenfunktionäre wie der Apostel Paulus brauchen zur Aufrichtung des Christentums Leid, Blut, vor allem aber: Medien, die die Bluttat in alle Welt tragen.
Die Niederlage, die Einstein 1922 vor Gericht im Prozeß gegen seine „Schlimme Botschaft“ erlitt, blieb bis heute ohne Revision. Erst jetzt, 72 Jahre später, hat das Drama eine Uraufführung erfahren: in der Kirche St. Petri zu Lübeck. Jesus wird von Paulus ans Kreuz gezwungen. Händler und Pharisäer wittern zwanzig Szenen lang gute Geschäfte; Jesi-Hemdenschnittmode und schwunghafter Holzkreuzhandel scheinen zukunftssicher. Die Filmbranche erwirbt Drehrechte, ein Verleger die Memoiren. Maria wird durch eine Schauspielerin ersetzt, und Pilatus widerlegt Jesus: „Glaubst du, was du erkanntest? Nein, man kann nicht glauben, was man erkannt hat; das Erkannte fordert Zweifel und Leugnen heraus.“
Diese und andere Sätze kommen im Tonfall einer schlechten Predigt temperamentlos über Kirchenlautsprecher der Marke „Invocare“, was heißen will: den Heiligen Geist anrufen, per Mikrophon. Gerufen werden im gotisch hohen Kirchenschiff vor allem Mißverständnisse in der Lesart des Dramas. Nicht nur, daß Regisseur Andreas von Studnitz seine liebe Mühe hat mit seinen Pappmachékopfkameraden à la Frank-Patrick Steckel und seinen Hausmeisterstatisten im bemalten Graukittel à la Frank-Patrick Steckel (Maske, Kostüme: Katharina Weissenborn). Immerzu plaudert die Schauspielerherde seelenvoll-bedeutungsbieder über Mikroports, während das Publikum in einem Zelt unterm Heiland sitzt und die Kapitalisten als Glücksspieler und, schlimmer noch, geschäftstüchtige Juden als aufgeräumte Mafiosi zu sehen bekommt. Der Schüler des Bochumer Intendanten Steckel erhielt das vergessene Drama aus den Händen seines Meisters und läßt Jesus im Rhönrad kreuzigen, einem populären Sportgerät der Nazizeit; zuvor durfte Dr. Mengele den Juden Jesus an die Reichs- „Ethik“ verraten.
Solche Interpretation ist verquer. Denn es geht nicht um Nazis und Mafiosi. Carl Einstein, der Kunstkritiker, wollte die Händler aus den Tempeln der Kunst werfen, die Verballhorner, die Lobpreiser, die fürs Lobpreisen die Hand aufhalten. Die Journalisten als Propagandisten, die Henker der Kunst aus Sensationsbedürfnis. Das hätte auch von Studnitz spüren können: Nur die Figuren, die im Drama als Henker auftreten, brillieren in dem zweieinhalbstündigen Vorläuferdrama des erst später episch genannten Theaters. Henker, die ihre vermummten Opfer lakonisch auf die Bühne führen, die lakonisch kreuzigen, weil sie dafür Geld bekommen. Zwei Nebenrollen, der Rest blieb Litanei. Einstein opferte sein Drama. In Lübeck wurde es noch einmal geopfert. Arnd Wesemann
Noch von heute bis zum 10.4. und vom 12. bis 17.4., tägl. 19.30 Uhr.
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