Autoboom in Brasilien füllt deutsche Kassen

■ Wirtschaftswachstum trotz 35 Prozent Inflation und Schuldenberg

Rio de Janeiro (taz) – 35 Prozent Inflation im Monat, 115 Milliarden Dollar Auslandsschulden und fünf verschiedene Wirtschaftsminister – das ist die verheerende Bilanz der brasilianischen Wirtschaft in den vergangenen 18 Monaten. Dennoch liegt die zehntgrößte Industrienation nicht am Boden, im Gegenteil: Angetrieben von der Automobilindustrie wuchs das brasilianische Bruttosozialprodukt 1993 um fünf Prozent. Ausländische Investitionen, im Jahr 1986 auf den Tiefststand von 307 Millionen Dollar gesunken, haben bereits wieder die Zwei-Milliarden-Dollar-Grenze überschritten.

„Die Investitionen kommen wieder zurück“, so Claudio Sonder, Vorsitzender der deutsch-brasilianischen Handelskammer in São Paulo. Sonder, zugleich Vorstandschef des Chemiekonzerns „Hoechst do Brasil“, konnte jedoch seine vielversprechenden Verheißungen auf der Jahreskonferenz der deutschen Industrie letzte Woche nicht mit konkreten Zahlen untermauern.

Tatsache ist, daß gerade deutsche Unternehmen von dem Wirtschaftsaufschwung in den Tropen profitierten. Nach einer Studie des Wirtschaftswissenschaftlers Octavio Barros von der Universität Campinas im Bundesstaat São Paulo konzentierten sich die 1.027 Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung mehrheitlich auf den Automobil- und Chemiesektor. Zwei Drittel des Auslandskapitals im Bereich der Produktion von Autoteilen ist deutscher Herkunft. Die Automobilindustrie wird knapp zur Hälfte (46,6 Prozent), der Chemie- und Pharmaziesektor zu einem Drittel (35,36 Prozent) von deutschem Kapital kontrolliert. Nach Angaben der brasilianischen Vereinigung der Automobilindustrie, Anfavea, steigerte die Branche 1993 mit 1,39 Millionen Fahrzeugen ihre Produktion gegenüber dem Vorjahr um 29,5 Prozent. Der Wachstumsschub wurde unter anderem durch Steuersenkungen ausgelöst. Die Lohnpolitik der brasilianischen Regierung, nach der die Gehälter alle vier Monate an die Inflation angeglichen werden müssen, hob das Pro- Kopf-Einkommen der Bevölkerung um drei Prozent an. Die noch unter Ex-Präsident Fernando Collor begonnene Marktöffnung erleichterte zudem die Kreditaufnahme im Ausland: Brasilianische Firmen können so vor den extrem hohen Zinsen im Inland fliehen.

„Ausländische Investoren schauen sich die Firmenbilanzen an, nicht die politische Situation des Landes“, meint Julius Buchenrode, Direktor der Investitionsabteilung der Bank „Chase Manhattan“, die über zwei Milliarden US- Dollar ausländische Investitionen verwaltet. In anderen Ländern Lateinamerikas würde zuerst die Regierung für makroökonomische Stabilität sorgen, und danach die Unternehmen den Kurs fortsetzen. „In Brasilien“, so Buchenrode, „passiert genau das Gegenteil.“

Auch Peter West, Wirtschaftsberater der „West Merchant Bank“, sieht in der Inflation kein Hindernis für Investitionen: „Trotz der Instabilität hält Brasilien seine Zahlungsbilanz aufrecht und verfügt über Auslandsreserven von 31 Milliarden Dollar.“ Die aufgrund der Inflation hochgetriebenen Zinsen würden Kapitalanlegern eine stattliche Rendite einbringen.

Deutschland ist nach den USA der zweitgrößte Investor in Brasilien. Nach Angaben des Wirtschaftswissenschaftlers Barros entfallen elf Prozent aller bis jetzt in Brasilien registrierten Auslandsinvestitionen, dies sind rund 80 Milliarden Dollar, auf Deutschland. 1969 war das Engagement der Deutschen in Brasilien allerdings stärker: Deutsches Kapital hielt an den Auslandsinvestitionen einen Anteil von 19,6 Prozent.

Im Gegensatz zu den Deutschen sind die USA oder Italien jedoch wesentlich investitionsfreudiger: „Brasilien ist für uns die beste Investitionsanlage“, schwärmt Silvano Valentino, Direktor von „Fiat“ in Brasilien. Das Modell „Fiat Uno“ des italienischen Autokonzerns ist das meistverkaufte Auto in Brasilien. „Die Krise Brasiliens ist im politischen Bereich, die Wirtschaft hat die Rezession schon überwunden“, sagt der Konzernchef. Bis 1996, so versichert er, werde der Konzern pro Jahr 250 Millionen Dollar in Brasilien investieren. Astrid Prange