„Wir müssen uns erstmal fit machen“

■ Schüler besetzen Gesamtschule Steilshoop - nicht nur wegen Abi-Verschiebung Von K. Kutter

Im Flugblatt stehen zwei kleine Tippfehler. „Was sollen denn die Autofahrer denken, wenn wir das morgen bei der Demo verteilen?“ ranzt eine Mitschülerin den Verfasser an. „Ich schreib das nicht nochmal“, antwortet dieser. Es sei schon mühselig genug gewesen, das Kopierpapier zusammenzuklauen.

Aufregung im Vorbereitungskomitee gestern mittag. In der Nacht zum Freitag, das haben 500 Schüler auf einer Vollversammlung beschlossen, wird die Gesamtschule Steilshoop besetzt. Vielmehr der „Teppich-Bereich“, denn für eine Rundumbesetzung ist das 2400 Schüler umfassende Bildungszentrum viel zu groß, erklärt Schülersprecherin Ana.

Wie ihre Mitschüler ist sie im Streß, es gibt viel zu organisieren. Farbe für Plakate, Tische, Musik und eben Flugblätter. RTL will drehen, ob das der Schulleiter erlaubt? Der Schulsprecher Niels soll nachher eine Rede halten. Politiker werden nicht eingeladen, die bei Schulbesetzungen oft übliche Podiumsdiskussion entfällt: „Wir müssen uns ja selber erstmal fit machen“.

Ursprünglich sollte sich der Protest gegen die bereits beschlossene Abitur-Verschiebung richten. Doch seit einer Woche hält das Schulsprecherteam auch ein Behördenpapier in den Händen, das von der Verlängerung der Lehrerarbeitszeit, der Einführung einer Probezeit für Schüler bis hin zur Streichung ganzer Bildungsgänge 70 Veränderungen im Berufschulbereich vorsieht. „Entfällt“ steht dort auch für die „Höhere Handelsschule“ und den „Integrierten Bildungsgang“ der Steilshooper Schule. „Wissen Sie, was IBs sind? Wir wollen, daß die erhalten bleiben“, erklärt Ana. IB, das sei eine Doppelausbildung, bei der Abitur und der Beruf „Kaufmännische Assistenz“ parallel erworben werden können. „Das spart viel Zeit“, ergänzt ein Mitschüler. Die Japaner hätten kürzlich die Schule bewundert, „die machen uns das bestimmt nach, wenn es hier längst gestrichen ist“.

Ein Lehrer kommt rein. Erklärt den Schülern Begriffe. Was ist eine „globale Minderzuweisung“ an Lehrerstunden? Und was sind BVK–As? Und BGJ? Und JoA? Unverständnis bei den älteren Schülern, die sich ansonsten recht gut in der komplizierten Materie des Berufsschulsystems zurechtfinden. So sollen die Eingangsstufe des Wirtschaftsgymnasiums Steilshoop gestrichen werden. Wenn dann noch Notenschwellen zur Eingangsvoraussetzung würden, hätten schwächere Schüler keine Chance. „Abgewiesene Bewerber wechseln in das Duale System“, steht im Behördenpapier. „Wir sind doch alle hier, weil wir keinen Ausbildungsplatz finden“, empört sich eine Schülerin.

„Ihr müßt euch das so vorstellen, hier wird Produktbereinigung betrieben“, erklärt der Lehrer. „Alles, was nicht originär mit Berufsschule zu tun hat, wird gestrichen. Die schwachen Schüler fallen raus.“ Zustimmendes Nicken. Und die Fehlzeitregelung? Zehn Prozent sollen künftig zur Abschulung führen. Hier kann der Pädagoge die Empörung der Schüler nicht ganz teilen. Fehlzeit findet er auch nicht gut. Aber gleich so eine starre Regelung? Nein, „was wir Schulen brauchen, ist mehr Autonomie“.

Die Schulleiter Helmut Strangmeyer und Dieter Maibaum kommen rein, erklären, daß sie der Schüleraktion „wohlwollend“ gegenüberstehen, gleichzeitig aber „konstruktiv kooperativ“ Stellung nehmen wollen zum behördlichen Papier. Es enthalte ja nicht nur Abschaffungen, sondern auch Neues, weiß Strangmeyer zu berichten. Und es sei ja nicht alles geplant, was drin steht, selbst in den obersten Behördenetagen sei klar, „daß man nicht in so kurzer Zeit so gravierende Einschnitte vornehmen kann“. Aber, ergänzt Maibaum: „Wenn sie uns den IB streichen, wären wir schon sehr traurig.“