piwik no script img

Für eine ökologische Auferstehung Rußlands

■ Interview mit dem 1927 geborenen Wirtschaftswissenschaftler Michail Lemeschew, der seit Jahren zu den entschiedensten Atomkraftgegnern Rußlands zählt. Im Dezember wurde er als Parteiloser über...

taz: Seit Januar sind Sie der Vorsitzende des Umweltausschusses des russischen Parlaments. Wo und wie wollen Sie eine Verbesserung der ökologischen Situation in Rußland erreichen?

Michail Lemeschew: Die sogenannten Reformen haben bisher keine Besserung der Situation erreicht. Im Gegenteil. Die Mächtigen in Rußland bestehen nach wie vor auf dem Bau von weiteren AKWs, es werden weiterhin gigantische und umweltfeindliche Großprojekte gebaut. Hinter dem Rücken unseres Volkes macht man Geschäfte in Milliardenhöhe mit ausländischen Firmen, die für ihre Umweltverbrechen bekannt sind.

Ich denke, im Zentrum einer Umweltpolitik, die diesen Namen wirklich verdient, muß der Mensch und die Gesundheit des Menschen stehen. Die Privatisierung muß so gestaltet werden, daß ökologisch sinnvolle Technologien und Produkte bevorzugt, ökologisch schädliche Technologien und Produkte benachteiligt werden. Bestimmte Gebiete müssen per Gesetz zu ökologischen Notstandsgebieten erklärt werden. In diesen Gebieten muß man ein umweltverträgliches Wirtschaften ganz besonders fördern. Für alle großen Regionen Rußlands müssen Werte des zulässigen demographischen Wachstums, der Urbanisierung, des Energieverbrauches, der industriellen und landwirtschaftlichen Produktion geschaffen werden. Rußland muß mit allen Nachbarstaaten Umweltverträge schließen. Ziel dieser Vertragsvereinbarungen soll die Schaffung eines ökologischen Sicherheitsgebietes sein.

Und wie stellen Sie sich die Finanzierung all dieser Pläne vor?

Der größte Teil der erforderlichen Mittel muß vom Staatshaushalt kommen. Daneben wollen wir aber auch Unternehmen, die Umweltstandards nicht einhalten, kräftig zur Kasse bitten.

Obwohl Sie sich bereits in den 60er Jahren für mehr Marktmechanismen eingesetzt haben, gehören Sie nun zu den Kritikern der wirtschaftlichen Reformen. Ist für Sie heute die Marktwirtschaft in Rußland die Ursache allen Übels?

Keineswegs. Wir müssen nur erreichen, daß rentabel nur noch produzieren kann, wer ökologische Standards einhält. Was wir heute erleben, ist ein einziger Ausverkauf unseres großen Landes. Durch den Ausverkauf unserer Bodenschätze, unserer Natur und unserer Kulturgüter wird unser Land zum Rohstofflieferant für multinationale Konzerne degradiert. Aus unseren Völkern will man die Sklaven des 21. Jahrhunderts machen. Doch diese satanische Strategie der Feinde Rußlands hat nichts mit Marktwirtschaft zu tun.

Unser Land braucht heute nicht eine wilde Marktwirtschaft. Was wir brauchen, ist eine Marktwirtschaft, bei der Elemente der Planung und Steuerung eine wichtige Rolle spielen. Ich denke, hier sind die USA, die skandinavischen Länder oder die BRD weiter als wir. Deswegen verwundert es auch nicht, daß dort in den letzten 15 bis 20 Jahren eine merkliche Verbesserung der ökologischen Situation eingetreten ist. Ich sehe die ökologische Fragestellung natürlich auch vom wirtschaftlichen Gesichtspunkt. Schließlich sind viele ökologischen Sünden auch wirtschaftlich gesehen eine Dummheit. Wird zum Beispiel bei der Erdölgewinnung ohne Rücksicht auf die Umwelt vorgegangen, können die Fische dort nicht überleben, was sich nachteilig auf den Wirtschaftszweig Fischfang auswirkt.

Da ist dann noch eine Sache, die heute leider gerne übersehen wird: Die ökologische Frage ist letztendlich eine moralische Frage. Will man eine wirtschaftliche und ökologische Auferstehung Rußlands, dann müssen wir auch die spirituellen Werte des russischen Volkes wiederbeleben. Wir Menschen müssen erkennen, daß wir nicht die Herrscher der Natur sind. Wir müssen erkennen, daß die Natur ein Werk Gottes ist.

Ich weiß, daß Sie bei vielen Ökologen in der früheren Sowjetunion wie auch in Deutschland wegen Ihres Einsatzes für Umweltschutz sehr geschätzt werden. Gerade deswegen hat die Nachricht, Sie seien über die Liste von Schirinowski ins Parlament gekommen, zu großen Irritationen geführt.

Wenn man über die Liberaldemokratische Partei LDPR spricht, dann wird fast immer nur über Schirinowski und fast nie über das Programm der Liberaldemokratischen Partei gesprochen. Und wenn man Schirinowski verurteilt, dann muß man, bitte schön, auch alle 15 Millionen Bürger Rußlands verurteilen, die ihn gewählt haben. Die LDPR ist die einzige Partei, die sich konsequent gegen den Ausverkauf von russischen Interessen, von russischen Naturressourcen an ausländische Konzerne ausspricht.

Die LDPR setzt sich für die Einführung einer Visumpflicht für Bürger der anderen Republiken der GUS ein. Ich denke, es ist doch eigentlich eine Selbstverständlichkeit, daß Bürger Aserbaidschans, Armeniens oder Usbekistans ein Einreisevisum nach Rußland beantragen müßten. Wissen Sie, zur Zeit ist Rußland übervoll mit Spekulanten aus diesen Republiken. Hier muß einfach etwas gemacht werden.

Immer wieder heißt es, die LDPR wäre eine faschistische Partei. Das ist eine gemeine Lüge. Ich denke, daß der Faschismus von den sogenannten Demokraten ausgeht. Diese „Demokraten“ sind gewissenlose Menschen, die große Angst haben, ihre Macht zu verlieren. Der Beschluß des Weißen Hauses im Oktober 1993 – das war Faschismus.

Was die Frage der Änderung der Grenzen angeht, so bin ich überzeugt, daß Rußland auf friedliche Weise wieder zu den Grenzen von 1917, so wie sie vor der Revolution bestanden haben, zurückkehren muß. Unser Staat hat hierzu einen rechtmäßigen Anspruch, und ich bin davon überzeugt, daß es soweit kommen wird.

Nachdem Schirinowski ein Visum für Deutschland verweigert worden ist, soll er gesagt haben, man müsse Deutschland zerstören.

Das ist eine Lüge der Presse. Es kann nicht sein, daß Schirinowski so eine Äußerung gemacht hat. Wahrscheinlich sprach er davon, daß in Deutschland viele Türken leben. Und da die Türken sich schneller vermehren als die Deutschen, könne es sein, daß auf diese Weise Deutschland zerstört wird.

Wenn Ihrer Meinung nach Schirinowski kein Faschist ist, warum trifft er sich dann mit deutschen Faschisten?

Es ist nicht richtig, daß sich Schirinowski im Ausland nur mit Faschisten trifft. Doch die Zeitungen schreiben eben nur darüber. Schirinowski trifft sich mit Vertretern der unterschiedlichsten Richtungen. Aber aus irgendeinem Grund schreiben Ihre Zeitungen nur über die Treffen mit Faschisten.

Ich selber als Ökologe wäre natürlich in erster Linie an einem Gespräch mit den deutschen Grünen interessiert. [Da müßte sich doch was machen lassen! Schon mal bei Herrn Templin nachgefragt? d.sin] Aber ich würde mich auch gerne mit anderen Gruppierungen, auch mit den Faschisten, treffen wollen.

Die ökologischen Probleme lassen sich besser lösen, wenn die Abrüstung beschleunigt wird und die frei werdenden Gelder für den Erhalt der Umwelt eingesetzt werden. Schirinowski will jedoch die Abrüstung stoppen und Rüstungsexporte steigern.

Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß sich bei beschleunigter Abrüstung die ökologischen Probleme schneller lösen ließen. Auch die LDPR ist für Abrüstung, für eine ausgewogene und weltweite Abrüstung. Die USA verkaufen aber weiterhin Unmengen an Waffen und rüsten wenig ab. In der Welt gibt es heute keine Kraft, die die USA in ihre Schranken weisen könnte. Hätte es 1991 ein Land gegeben, das diese Rolle ausgeführt hätte, so wie es die UdSSR während des Kalten Krieges getan hat, wäre es nicht zu diesem ungerechten Golfkrieg gekommen, der Tausenden von unschuldigen Irakern das Leben gekostet hat. Als Folge der Abrüstung sind heute viele Rüstungsbetriebe in Rußland ohne Arbeit. Wir müssen wieder mehr Waffen verkaufen, um unserer Wirtschaft zu helfen.

Halten Sie Rüstungsexporte nicht für unmoralisch?

Doch. Ich bin aber dagegen, daß Rußland einseitig seine Rüstungsexporte einstellt. Würden wir das tun, dann würden nur andere Rüstungsfirmen anderer Staaten in die Bresche springen und sich dabei eine goldene Nase verdienen. Interview: Bernhard Clasen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen