■ In Kroatien gerät Präsident Tudjman unter Beschuß
: Machtkampf mit offenem Ausgang

Über zwei substantielle politische Fragen herrscht in Kroatien ein abgrundtiefer Meinungsunterschied. In der Frage der Bosnienpolitik und der Verhandlungen mit den aufständischen Serben und ihren Belgrader Unterstützern stehen auf der einen Seite Präsident Franjo Tudjman mit seinen Untergebenen und auf der anderen weite Teile der Gesellschaft. Das breite Spektrum von der gesamten Opposition, über die prominenten unabhängigen Intellektuellen, der katholischen Kirche bis zu einem prononciert liberalen Flügel innerhalb der Regierungspartei, könnte die kroatisch-muslimische Versöhnung als ihren Erfolg verbuchen. Zwar hat Tudjman die Wende in seiner Bosnienpolitik vor allem unter dem Druck der Amerikaner vollzogen, dennoch werden damit genau die Forderungen eingelöst, die von seinen kroatischen Opponenten beharrlich eingebracht wurden.

Tudjman will jetzt weismachen, daß es gar keine Wende in seiner Politik gab und folglich auch keine Verantwortlichen für den kroatisch-muslimischen Krieg gibt. Um diese widersinnige Gratwanderung zu Ende zu spielen, zieht er es vor, die Exponenten der Teilungspolitik in der Regierungspartei HDZ unbehelligt zu lassen. Dafür hat er in bester bolschewistischer Manier den politischen Weggefährten und Mitbegründer der HDZ, Josip Manolić, absetzen lassen und damit eine politische Krise mit noch offenem Ende ausgelöst. Manolić ist ein entschlossener Vertreter einer Politik, die sich für die staatliche Souveränität Bosniens einsetzte, und seine Gleichgesinnten in der HDZ gehören zu den angesehensten Politikern in Kroatien: der Parlamentspräsident Stipe Mesić, der Regierungschef Nikica Valentić, der frühere Regierungschef Franjo Gregurić. Der jetzige Machtkampf in der HDZ läuft deshalb darauf hinaus, daß sich die Partei ihrer Elite entledigen könnte. Angesichts des kleinen Vorsprungs, den sie in den Meinungsumfragen der stärksten Oppositionspartei (HSLS) gegenüber bislang hatte, könnte es bald ums Ganze gehen.

So wie der liberale Flügel in der HDZ in bezug auf die Bosnienpolitik mit der politischen Mehrheit im Lande sich einig wissen konnte, verhält es sich auch mit anderen politischen Fragen: Meinungsfreiheit und Menschenrechte, Privatisierung, Rechtsstaat und vor allem mit der Frage der serbisch okkupierten Gebiete. Deshalb könnte es auch nur eine Frage der Zeit sein, wie lange Tudjman seine „Normalisierungspolitik“ mit Milošević und seinen Ablegern in Kroatien gegen den gesunden Menschenverstand und die Mehrheit im Lande noch betreiben und seine Niederlagen als Erfolge verkaufen kann. Dunja Melćić

Publizistin, lebt in Frankfurt a.M.