Aidskranker will raus

■ Die wundersame Geschichte des Frank R., Patient in der Psychiatrie für Straftäter

Gestern hat ein aidskranker Sexualstraftäter die vorzeitige Entlassung aus der forensischen Psychiatrie des Bremer Zentralkrankenhauses Ost beantragt. Bei dem 29jährigen ist die tödliche Krankheit voll ausgebrochen. Hoffnung gibt ihm jedoch die Freie koreanische evangelische Christengemeinde in Brahmstedt: Seit die für ihn bete, seien wunderbarerweise die schlimmsten Abszesse verheilt, sagt der Mann.

Seit mehr als vier Jahren wohnt Frank R. zusammen mit Mördern, Totschlägern und anderen Sexualstraftätern in der forensischen Psychiatrie, der geschlossenen Anstalt für psychisch kranke Straftäter. Mit Menschen zum Beispiel, die Tötungsbefehle zu hören glauben oder in ihrem Verfolgungswahn aggressiv werden. Wie viele der rund 50 Patienten hat Frank R. seine Strafe längst verbüßt. Weil er als „allgemein gefährlich“ eingestuft wird, muß er jedoch weiterhin in dem Haus mit den vergitterten Fenstern leben.

Nun hat seine Anwältin, Rosemarie Matthes, eine Art Begnadigungsgesuch gestellt, ein Gesuch, die Unterbringung auf Bewährung auszusetzen. „Ob die Fortdauer der Unterbringung des Herrn R., dessen Tage gezählt sind, mit der Menschenwürde zu vereinbaren ist“, fragt sie darin das Landgericht.

Der 29jährige ist vor vier Jahren wegen sexueller Nötigung verurteilt worden: „Ich soll einem zehnjährigen Mädchen drei Zungenküsse gegeben haben.“ Erinnern kann er sich nicht, weil er damals betrunken war. „Filmriß“, sagt die Anwältin dazu. Heute jedoch trinke er nicht mehr, sagt Frank R.

Außerdem sei seine „Sexualproblematik nicht mehr so vorhanden“. Problematik? Ja, er habe Orgasmusschwierigkeiten gehabt, weil man ihn im Heim immer aufs Geschlecht geschlagen habe, erzählt er. Im Heim, in das ihn seine Eltern mit fünf Jahren gegeben haben. Die Anwältin begründet die Ungefährlichkeit des Patienten so: „Soweit in wiederholten Gesprächen feststellbar, ist die sexuelle Aktivität des Untergebrachten fast vollständig erloschen“.

Eine Sexualtherapie hat Frank R. allerdings noch nicht gemacht. Die letzten Jahre lernte er, so die Anwältin, zunächst mal „soziales Verhalten“: Menschen nicht einfach „vollzuquatschen“, sondern ihnen zuzuhören zum Beispiel. Oder sich mit wegen der Aidserkrankung gehässigen Mitgefangenen auseinanderzusetzen, ohne aufzubrausen.

Der Oberarzt der Forensischen Psychiatrie, Axel Titgemeyer, will überhaupt nicht mit „den Medien“ sprechen. Den Fall R. hält er ohnehin für denkbar ungünstig für eine öffentliche Diskussion, schließlich werde der Patient hier doch optimal versorgt, und darauf komme es im Falle dieses Kranken doch nur an.

Sicher: Frank R. fühlt sich gut umsorgt und auch beachtet in der Forensischen, hat ein eigenes Zimmer, darf täglich eine Stunde auf dem Krankenhausgelände spazieren, in Begleitung in die Stadt ... Doch er erwartet einfach noch ein bißchen mehr vom Rest seines Lebens: „Ich will öfter in die Kirche, auch mal meine Eltern in Freiburg besuchen.“ Letzten Sommer ist er für zwei Wochen ausgebrochen, wollte endlich mal ohne Aufsicht durch die Stadt spazieren. Jetzt sitzt er eben viel in seinem Zimmer und ordnet am Computer sein Tierschutzarchiv. Um selbst über den Tierschutz zu schreiben, hat er sogar einen Fernstudiengang Journalismus gemacht.

Erst recht will er raus, seitdem er die Freie koreanische Christengemeinde kennt. Bislang konnte ihn nur ein Betreuer vom „Rat & Tat“-Zentrum zu Einkäufen und Spaziergängen begleiten, seit zwei Monaten holen ihn außerdem die Gemeindemitglieder raus: zum Beten und Singen und gemeinsamem Essen. „Wir sind so froh über jeden, der von außen Kontakt mit den Patienten aufnimmt“, sagt der Psychologe auf der Station, „meist sind das Glaubensgemeinschaften, wer will sonst mit diesen Leuten zu tun haben ...“

Aber auch die Freie Christengemeinde hat erst mit sich und ihren Vorurteilen gerungen: Viele koreanische Krankenschwestern hatten zum Beispiel große Angst, daß ihre Kinder sich anstecken könnten. „Also esse ich jetzt eben von Plastiktellern und habe meine eigene Toilette“, sagt Frank R., „ich muß aktzeptieren, daß Leute vor mir Angst haben“.

Seitdem er mit der Gemeinde betet und ein arbeitsloses Gemeindemitglied täglich mit ihm telefoniert, ist ein kleines Wunder geschehen: „Als wir ihn das erste Mal abholten, sah er furchtbar aus, fror und zitterte, wir mußten ihn sozusagen auf die Heizung legen, und er konnte vor lauter Geschwüren nicht mal knien“, erzählt die Anwältin. Heute sind von den Ekzemen nur noch Narben zu sehen. Die Gemeinde betet weiter für Frank R.

Aber wo könnte der Kranke wohnen, wenn er denn freigelassen würde? „Wir sind alle berufstätig“, sagt Rosemarie Matthes, und manchmal sei Frank R. selbst zum Kartoffelschälen zu schwach. Betreutes Wohnen wäre die einzige Möglichkeit.

Über eine Freilassung zu entscheiden hätte zum Beispiel der Vorsitzende Richter Harald Schmacke. „Wir sind bei diesen Patienten immer relativ vorsichtig, schließlich geht es auch um den Schutz der Öffentlichkeit.“ Aussichtsreiche Kandidaten müssen eine Erprobungsphase von mindestens einem halben Jahr bestehen. Die Patienten werden zunächst nur stundenweise zu unbegleitetem Ausgang rausgelassen. „Wenn allerdings ein Betroffener vom nahen Tod gezeichnet ist, würde ich ihn wohl nicht in der Forensik behalten wollen, sondern in eine beschützende Wohngemeinschaft entlassen“, meint Schmacke, ohne allerdings Frank R. konkret Hoffnungen machen zu wollen.

Christine Holch