Wand und Boden: Erste feierliche Umarmungen des Raumes
■ Kunst in Berlin jetzt: Bacon, Rheinsberg, Hajek, Seeto
Ein Jahr lang hat die Galerie Rafael Vostell daran gearbeitet, 18 grafische Arbeiten aus den achtziger Jahren von Francis Bacon nach Berlin zu bringen. Mit einer schmalen Goldleiste gerahmt und unter Glas, wie es Bacon für alle seine Arbeiten forderte, sind sie einem Präsentationsraster unterworfen, das darauf abzielt, den Spielraum des Betrachters eng zu halten – wie eine weitere Forderung Bacons: keine Interpretation. Es sind berühmte Gemälde, die Bacon in den Lithographien wiederaufgenommen hat: Die „Zweite Version des Triptychons 1944“ (1989) erinnert an die surrealistischen Anklänge, die seine Arbeiten nach dem Zweiten Weltkrieg noch aus den dreißiger Jahren mitschleppten. Der auf einem langen Hals aufgeständerte, zu einem schreienden Mund zusammengeballte Kopf ist ein Emblem, ein Hoheitszeichen Baconscher Malerei. Der Leib bedrängt den Menschen. Er ist sein Schwachpunkt, aber auch der Ort seiner Schönheit. Die Zerstückelung der Figur, um die bei Bacon viel Aufhebens gemacht wurde, erweist sich in den ausgestellten Blättern eher als die aufrichtige Hommage an den Körper des Mannes – eines sehr männlichen Mannes. „Drei Studien des männlichen Rückens“ (1987) zerdehnen den Körper eines am Rasiertisch agierenden Mannes in eine Breite, die die Massivität seines Oberkörpers überhaupt erst adäquat würdigt. Angesichts der Wucht der ebenmäßig satten Farbfläche, die die Lithographien zeigen, stellt sich die feine Goldleiste als noble Geste heraus, die Blendung der heftig roten und orangenen Hintergründe zu begrenzen, auf denen die figürliche Zertrümmerung statthat. Denn in irritierender Weise scheint einem durch diese Blendung die Türe vor der Nase zugeschlagen, bevor man das Bild wirklich zu Gesicht bekommt.
Bis 28.5., Niebuhrstraße 2, Mo-Fr 15 -19, Sa 11-14 Uhr
Zerstückelt und fragmentiert ist auch bei Raffael Rheinsberg „Das Gemälde“, das er nicht gemalt, aber – wie bei ihm üblich – gefunden hat: Zertreten, im Müll der russischen Kaserne bei Potsdam. Jetzt hängen ungefähr sechzig Einzelteile im Foyer des Podewil, willkürlich, besser, diametral entgegen der Systemlogik eines Puzzles geordnet. Das anonyme Gemälde, das den sowjetischen Sieg in der Schlacht bei Stalingrad rühmt, diente in der Potsdamer Kaserne als historische Vergewisserung anläßlich der Stationierung im ehemaligen Feindesland. „Das Gemälde“ verdoppelt das Ordnungsraster des Feldmotivs, das in den Arbeiten von Rheinsberg von ebenso variabler wie standardisierter Qualität ist – analog den Metallobjekten, die er etwa im „Rostfeld“ (1985) auslegte. Das zerstörte Schlachtfeld zerfällt an den Wänden des Foyers noch einmal in mehrere Bildfelder. Ins Blickfeld gerät eine wahrhaft befremdliche Allegorie der Kriegsmaschinerie: Jeder zerfetzte Bildteil zeigt ein zerfetztes Körperteil, noch immer in Kriegsfunktion. Ein alleingehendes Wehrmachtsknie, erkenntlich an braunen Breeches und Schaftstiefeln, schreitet gegen eine Schulter aus, die integraler Teil des Gewehrs ist, das sie stützt. Abgetrennte Hände sind ebensolche puren, funktionalen Waffenträger. Über einen toten deutschen Soldaten stürmt eine graue Hose der Roten Armee hinweg: Die Fundstücke prangen an der weißen Wand wie aufgespießte Schmetterlinge im Naturkundemuseum.
Bis 30.4., Klosterstr. 68-70, Mo-Fr 8-22, Sa 16-22 Uhr
Ein wandhoher, senkrechter Streifen reines Rot, eine ultramarinblaue Woge, die weit ausgreift, in die Wandecke schwappt und aus ihr heraus weiterläuft, gegen einen wandhohen strengen Streifen strahlenden Gelbs, der mittig über dem Ende der Wand, der Kante eines Türsturzes, sitzt: Sichtlich selbstbewußt aus- und übergreifend ist Katja Hajeks künstlerisches Gebaren, das sich in der Galerie Zellermayer dokumentiert. Wandmalerei, die die Architektur eines Wandverlaufs im Raum skulptural vereinzelt, heraushebt, freistellt. Dann wieder drängt die Farbe die Hausfassade in die zweidimensionale Fläche, wie in einem kleinen Modell, mit No. 4 bezeichnet, zu sehen. Die Ahnung, daß der Großstadtraum nur noch Vorwand für Werbeflächen ist, schwingt mit. „Farbraum Klang“ bezeichnet denn auch die kleinen Modelle ihrer Bauplastik, die das Vexierspiel, in dem sich Form und Farbe, Raum und Fläche in der modernen industrialisierten Naturlandschaft und der naturalisierten Industrielandschaft aufheben, thematisiert. Der Horizont, so sagt sie selbst, ist ihr aus ihren Landschaftsbildern herausgerutscht. Er wird ersetzt durch ein schräggelegtes Kreuz, das teilweise auch zur Diagonalen reduziert, die kräftigen roten, gelben, blauen Farbpigmente auf gips- oder wachsgrundierten Preßspan- oder Holztafeln als dynamische, aufwärts- und vorwärtstreibende Form zur Darstellung bringt.
Bis 30.4., Ludwigkirchstraße 6, Mo/Sa, 11-14 Uhr, Di-Fr 13-18 Uhr
Fast österlich sakral erscheint dagegen zunächst William Seetos „Work in Progress“ im Atelier 247 des Künstlerhauses Bethanien. Die Raum-im-Raum-Skulptur des australischen Künstlers besteht aus einem schlichten, kreuzförmig angelegten, weiß getünchten Gang, der auf vier verspiegelte Fenster blind endet. Der erste Eindruck ist feierliche Abgeschlossenheit im symbolisch hochbesetzten Geviert. Dann vermeint man, Stimmen zu hören. Der verweigerte Durchblick entzündet das Mißtrauen und schärft die Wahrnehmung. Was ist hinter den Spiegeln? Zunächst man selbst. Aber das ist die Sichtweise des anderen, des Jenseitigen. Im Fadenkreuz des Unsichtbaren fängt im Kopf die Alarmklingel an zu schrillen. Man sieht sich nur noch von außen, weil man so sehr drinnen steckt. Die erste feierliche Umarmung des Raums schlägt in Aufenthaltslosigkeit um. Die Wärme und Harmlosigkeit, die das matte Weiß und die stockfleckigen Fensterspiegel auch ausstrahlen, wird gerade verdächtig. Man erinnert sich plötzlich bewährter Verhaltensregeln aus Walter Serners Handbrevier für Hochstapler (Nr. 452): „Gehe nicht zu Masseusen, es sei denn, du willst dich massieren lassen. Andernfalls kann es dir widerfahren, bei dieser Gelegenheit beobachtet und photographiert zu werden.“ Brigitte Werneburg
Bis 30.4., Mariannenplatz 2, tägl. 14-19 Uhr, außer montags
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