Elfchens literarische Preßwehen

■ Literatur-Splatter und Lachtherapie in einem: Karin St. jetzt über Ingeborg B.

Dem Feminismus auf Krankenschein ist endlich wieder ein großer Heilungserfolg gelungen. Damit dies der bedürftigen weiblichen Öffentlichkeit zugute kommt, wurde das Behandlungsprotokoll unter der Tarnbezeichnung „Roman“ derselbigen nun vorgelegt. Das halbierte Konterfei einer berühmten toten Autorin ziert den Einband mit dem Titel „IngeborgB. Duell mit dem Spiegelbild“ – Staun, wer mag das wohl sein? Richtig! Um Ingeborg Bachmann geht's angeblich wieder mal, genauer – laut Klappentext – um den „obsessiven Bezug“ der Romanheldin Vera H. zu deren Werk und Tod.

Schlag nach im Duden: „obsessiv“ – „in der Art einer Zwangsvorstellung“. Einmal diese Textbedeutung klargemacht, sind Nebenwirkungen dieses Antidepressivums außer permanenter Lachmuskelüberreizung nicht zu fürchten. Für nervenschwache Leserinnen aber gilt: nur unter ärztlicher Betreuung!

Denn öffnen wir den Schutzumschlag, der seinen Namen selten so zu recht trug, sehen wir uns ungeschützt Sätzen ausgesetzt, gegen die der Faustschlag auf den Kopf, den Kafka als Wirkung der Literatur wünschte, ein harmloses Tippen war: „Es gibt dich, mit deinem zerrissenen Gesicht. IngeborgB. Jemand hat mit der Axt hineingeschlagen.“ Und da weigert sich ein als „Folterer“ enttarnter Verleger noch, wie sich die Autorin nicht scheut mitzuteilen, eine Radierung, die dieses mit der Axt gespaltene Gesicht zeigt, aufs Titelbild zu setzen!

Nein, Karin St. schreibt nicht mit der Axt in der Hand, weil „der Dichter“ nämlich „mit der Hand denkt“. Wer mit diesem Organ denken kann, kann – um ein beliebtes Stichwort zur weiblichen Schreibweise anzuführen – auch den Körper schreiben. Manch weibliche Unbill in Liebesfragen klärt sich da schlagartig auf: „Ich wußte plötzlich, daß es mir oft weh tat, weil er so groß ist, wenn er richtig bis zur vollen Größe wächst.“ Und auch literarische Produktivität wird endlich als weiblich-mütterliche deutlich: Bachmann starb nach Karin St. „in der Preßwehphase ihres Schreibens“! Wie wir vom Kindertherapeuten wissen, muß die Mutter-Kind-Beziehung imaginär umkehrbar sein, und – wieder richtig! – es wird von „Ingeborg“ als Säugling geträumt. Mutter-Tochter-Symbiosen sind anscheinend auch in literaturgeschichtlicher Hinsicht nicht ohne, und es ist Karin St.s Verdienst, dieses Duell im Spiegelstadium in aller Krudität frühkindlicher Identifizierungs- und Vernichtungswünsche vorgeführt zu haben.

Daß viele Absätze ohne diese miesen, harten Punkte enden, läßt sich als schelmischer Beweis der These deuten, nach der im weiblichen Text alles fließt. Und so fließt es uns gleich in der völlig harmlos scheinenden Eingangsszene (Kino und Eis mit Frank G.) entgegen: „So muß es bei der Bachmann gewesen sein, dachte ich, daß sie immer durch Männer so verwirrt wurde, daß ihr alles herunterfiel. Und bei mir ist es so, daß mir schwindelig wird und ich fast nichts mehr sehe.“

Zumal diese Schafe im Wolfspelz frau auch noch unentwegt „verfolgen“. Dies ist um so perfider, da die Karin St. ja nicht etwa der weibliche Dr. Kimble, sondern, wie sie angelegentlich betont, ein „Elfchen“ ist.

Wenn Elfchen mit der Axt auf Literatur losgeht und Karin St. an ihre selbstgewählte literarhistorische Mutter denkt, wird es richtig gruselig. Die seitenlangen Exegesen über verbranntes Fleisch und Hauttransplantationen (Bachmann starb bekanntlich an Verbrennungen) werden aber dann umwerfend komisch, wenn sie auch noch als Bilder fürs Schreiben zurechtgezimmert werden. Eingestreute Einsichten wie „Ein feministisch verblendetes Zeitalter hörte nicht den Aufschrei der Söhne“ sorgen bei diesem Literatur-Splatter für die nötige Affektabfuhr: Hier muß frau unverblendet ganz laut mitschreien.

Karin St. hat sich nicht umsonst am Vorbild Bachmann abgearbeitet. Sie hat – Traditionsbildung! – die weibliche Linie auch selbst vorbildlich erweitert. Alle verfolgten Elfchen lernen: Jeder Stuß findet noch einen Verleger, auch wenn der begreiflicherweise bei „Vertragsunterzeichnung zittert“. Vor den Schrecken dieser Literatur kann sowieso nicht genug gewarnt werden, wie der von der Autorin berichtete Fall der Leserin Gerti H. bestätigt, die sich durch das Motto des ersten Buches von Karin St. an die lange vergessene „Blutsuppe“ ihrer Kindheit erinnert sah – „ungeheuerlich“ in der Tat: Prof. Freud, übernehmen Sie!

Da das alles mit Literatur nichts zu tun hat, hat das Buch auch mit Bachmann nichts zu tun. Karin St. regt sich über Christa Wolfs Bachmann-Bild (in ihren „Frankfurter Vorlesungen“) auf: „Wie kann eine Frau so etwas schreiben?“ Was hat sie bloß? Nur ein wenig um die Ecke gedacht, erkennen wir: Wenn Karin St. solche Romane schreiben und sogar veröffentlichen kann, dann – und zwar unwiderruflich! – darf frau endlich alles schreiben. Wenn das kein schöner Therapieerfolg ist: So einfach geht die Dekonstruktion der Literatur bis ins letzte wehrlose Zeichen! Elke Brüns

Karin Struck: „Ingeborg B. Duell mit dem Spiegelbild“. Roman. Verlag Langen-Müller, 1993, 232 Seiten, geb., 32 DM.